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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 21.1910

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Dehio, Georg: Zu der neuerworbenen Wachsbüste des Berliner Museums
DOI Artikel:
Pauli, Gustav: Die Wachsbüste der Flora im Kaiser-Friedrich-Museum
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https://doi.org/10.11588/diglit.5952#0082

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147

Die Wachsbüste der Flora

im Kaiser-Friedrich-Museum

148

bilden wollen, wie ein von Lionardo im ersten De-
zennium des 16. Jahrhunderts — denn um diese Zeit
ungefähr müßte es sich handeln — plastisch aus-
geführter Frauenkopf aussehen dürfte, so könnte sie
allein auf die Monalisa aufgebaut werden. Dies Ge-
mälde gibt in der größten Annäherung an den pla-
stischen Schein, die je mit den Mitteln des Malers
erreicht worden ist, einen ungeheuren Reichtum im
leisesten Auf- und Nieder der bewegten Oberfläche.
Wir können uns nun denken, daß Lionardo im
schmiegsamen Wachs mindestens dieselbe Fülle und
Feinheit der Modulation erstrebt haben würde. Im
Berliner Kopf vermisse ich sie. Vielleicht ist im
Untergesicht noch einiges davon zu finden, im oberen
Teil nichts. Hier werden die Formen sehr einfach

— nicht groß, sondern leer, konventionell antiki-
sierend, zumal in den Seitenansichten ist viel moderne
Niedlichkeit. Angenommen, daß Lionardo einmal
Nachahmer der Antike hätte sein wollen, so unlebendig
wäre er nie geworden.

Aber nicht nur im Vergleich des Kopfes mit dem
Torso, sondern im Kopf selbst finde ich Mangel an Ein-
heit. Dieser Mund und diese Augen sind schlechter-
dings im Streit. Wenn der Mund sich zu einem so
starken Lächeln mit so tief eingezogenen Winkeln
wendet, dann drängen die Muskeln die darüber lie-
genden Weichteile aufwärts, das untere Augenlid
hebt sich, die Öffnung des Auges wird zusammen-
gekniffen. So zeigt es auch die Monalisa, der Jo-
hannes, die ganze von Bode als Ableitung von der
Florabüste angesehene Bildergruppe. Die Augen der
Büste gehören aber in ein ganz anders geartetes En-
semble des Muskelspiels: sie sind weit geöffnet. Nie-
mals konnte dem großen Meister der Physiognomik
ein solcher Verstoß begegnen. Man mache zur Kon-
trolle noch folgendes einfaches Experiment: deckt
man auf dem Bilde der Monalisa die untere Hälfte
des Gesichtes zu, so lächeln noch immer die Augen;
im gleichen Fall die Augen der Büste sind starr, ein
wenig traurig; auch Bemalung hätte daran nichts
ändern können.

Für diese Diskrepanz gibt es eine sehr einfache
Erklärung, wenn man sagt: sie war nicht ursprüng-
lich gegeben, sie ist das Werk eines Restaurators.
Eines Restaurators, der das ihm geläufige klassi-
zistische Formenschema mit einem lionardesken
Lächeln zusammenzwingen wollte.

Und zu dieser Annahme stimmt aufs Vollkommenste
der materielle Zustand. Die Unterarme sind abge-
schlagen, die Brust abgeblättert, mit Rissen durchsetzt

— nur der stark exponierte Kopf mit seinen feinen
Ausladungen ist völlig wohlerhalten, selbst die ge-
fährdete Nasenspitze; er hat nicht die geringste
Schramme. Wieder einmal muß ein Wunder ange-
nommen werden. Denn nur ein solches kann ihn
geschützt haben.

Es bedarf nicht vieler Worte mehr. Die Berliner
Büste ist ein sehr vorzügliches altes Werk. Wer an
Lionardo glauben will, dem ist es unverwehrt; wenig-
stens ist bis jetzt nichts beigebracht, was diese Mög-
lichheit absolut ausschlösse. Aber dies vorzügliche

Werk ist stark beschädigt. Den Körper hat der Re-
staurator kaum berührt, den Kopf — der, wie vorn-
herein zu glauben ist, am schwersten gelitten hatte —
gründlich zurecht gemacht und ohne Vermögen stil-
getreuer Imitation, wofür wir ihm dankbar sein müssen.
Das beste, was vermutet werden kann und mit einigem
Vertrauen auch vermutet werden darf, ist, daß seine
Haltung und sein allgemeiner Umriß unverändert
geblieben sein mögen; alle feineren Eigenschaften der
originellen Form sind aber dahin.

Schließlich noch dieses. Die Büste hat jahrelang
in der Werkstatt des Bildhauers Lucas gestanden, eines
seinerzeit geschätzten Restaurators und Spezialisten in
der Wachstechnik. Den Versuch, sie für eine un-
berührte Antiquität auszugeben, hat Lucas anscheinend
nie gemacht.

Selbstverständlich sind die Akten über den Fall

nicht geschlossen. Vielleicht wird der Torso noch

einmal kunstgeschichtlich in irgend einem Sinne große

Bedeutung erlangen. Aber für unmöglich halte ich,

daß man über die kompromittierenden Eigenschaften

des Kopfes je wird hinwegkommen können. Ob er

von Lucas oder schon vor Lucas restauriert ist, ist

verhältnismäßig gleichgültig: restauriert ist er.

* *
*

DIE WACHSBÜSTE DER FLORA
IM KAISER-FRIEDRICH-MUSEUM
Von O. Pauli in Bremen

Als ein Werk des Leonardo da Vinci wurde im
letzten Oktober die Wachsbüste der Flora für das
Kaiser-Friedrich-Museum erworben. Die Zuschrei-
bung, die mit der Autorität des angesehensten Kunst-
kenners der Welt gedeckt war, verfehlte nicht, eine
ungeheure Sensation zu erregen, da sie uns eines
der wenigen, vielleicht das einzige plastische Werk
eines der größesten Künstler verhieß. Lange dauerte
es indessen nicht, bis die neue Erwerbung angegriffen
wurde, und zwar wurde die schwerste Anklage, die
ein altes Kunstwerk betreffen kann, gegen sie erhoben,
die Beschuldigung, nicht echt zu sein.

Es gibt in einem solchen Falle eine Frage, die
als die allererste — viel wichtiger als die nach dem
Namen des Künstlers — vorab zu entscheiden ist,
die Frage nach der Qualität der Arbeit. Ein Freund
von mir fand die Büste »hinreißend schön«. Doch
ist ein solches Urteil, das stereotyp, nur mit verschie-
dener Betonung vor jedem Meisterwerk wiederholt
werden mag, im Grunde nichts anderes als eine Liebes-
erklärung. Und wer wollte es leugnen, daß man in
der Kunst so gut wie im Leben sein Herz auch wohl
einmal an einen Gegenstand verschenken könne, der
sich dieser Gabe nicht würdig erweist! Ist nun also
die Büste nicht nur unserer Neigung, sondern auch
der Ehren würdig, die wir aller hohen Kunst bereit-
willig zollen? —

Zunächst gibt es bei der Betrachtung allerlei zu
subtrahieren, was durch ein unfreundliches Geschick
der Büste abhanden gekommen ist oder ihr angeblich
von Stümperhand hinzugefügt wurde. Die Unterarme
sind abgebrochen, das Gewand ist arg bestoßen und
 
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