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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 23.1912

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Schleinitz, Otto von: Ausstellung alter Meister in der Londoner Grafton Gallery
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https://doi.org/10.11588/diglit.5954#0036

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ACAD. LESEH.

6-N0V.1911

KUNSTCHRONIK

WOCHENSCHRIFT FÜR KUNST UND KUNSTGEWERBE

•»SS SS««

Verlag von E. A. SEEMANN in Leipzig, Querstraße 13

Neue Folge. XXIII. Jahrgang

1911/1912

Nr. 4. 3. November 1911.

Die Kunstchronik erscheint als Beiblatt zur »Zeitschrift für bildende Kunst« monatlich dreimal. Der Jahrgang kostet 8 Mark und umfaßt 40 Nummern.
Die Abonnenten der »Zeitschrift für bildende Kunst« erhalten die Kunstchronik kostenfrei. — Für Zeichnungen, Manuskripte usw., die unverlangt
eingesandt werden, leisten Redaktion und Verlagshandlung keine Gewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E.A.Seemann,
Leipzig, Querstraße 13. Anzeigen 30 Pf. für die dreispaltige Petitzeile, nehmen außer der Verlagshandlung die Annoncenexpeditionen an.

AUSSTELLUNG ALTER MEISTER IN DER LON-
DONER GRAFTON GALLERY

Die unter dem besonderen Protektorate des Königs
stehende und durch den Herzog und die Herzogin von
Connaught eröffnete, und zum Besten des nationalen
Kunstfonds veranstaltete Ausstellung lieferte von neuem
den Beweis, welche unerschöpflichen Kunstschätze in den
Privatgalerien Englands angesammelt worden sind. Eine
ganze Reihe der hier zur Besichtigung gebotenen Werke
war entweder früher gar nicht, oder vor längerer Zeit aus-
gestellt, aber keins derselben wurde einer öffentlichen Ga-
lerie entliehen. Lord Curzon, der frühere Vicekönig von
Indien, hielt eine Eröffnungsrede, in welcher er vor allem
den Wunsch zum Ausdruck brachte, die staatliche jährliche
Beihilfe von 5000 £ auf 25000 £ erhöht zu sehen. Dann
schlug der Redner verschiedene bis zum strengsten Aus-
fuhrverbot zielende Mittel und Mittelchen vor, um dem
Auslande den Ankauf wertvoller Kunstwerke zu Ungunsten
Englands unmöglich zu machen. Alle diese wohlgemeinten
Ratschläge scheinen in unsern modernen Lebensverhältnissen,
und gerade in England am allerwenigsten durchführbar,
da so leicht kein englisches Parlament ein bezügliches Oe-
setz gutheißen würde! Vom praktischen Standpunkt aus
wird es daher wohl bei dem Rate: »Tu Geld in deinen
Beutel« verbleiben!

Unter den 108 zur Stelle befindlichen Gemälden nimmt
fast jedes unser besonderes Interesse in Anspruch, sei es
nun als reines Kunstwerk, sei es in kunsthistorischer Hin-
sicht, oder weil endlich mehrere der vorhandenen Bilder
gerade in letzterer Zeit zum Gegenstand von Spezialfor-
schungen wurden. Außer dem Könige, der aus dem ffoly-
rood-Palast die beiden erhaltenen Altarflügel von van der
Goes' herrlichem Werk sandte, haben auch die Besitzer der
meisten vornehmen Galerien Londons zum Erfolge der
Ausstellung beigetragen. Besonders hervorragend ist die
italienische Schule vertreten und namentlich bieten die
Florentiner Primitiven, die frühen Meister von Siena und
Umbrien, reichhaltigen Stoff für kunstwissenschaftliche Stu-
dien und Spekulation. Die Morgendämmerung der Kunst
wird hier durch vier kleine, Szenen aus dem Leben Jesu
enthaltende Paneele illustriert, die auf Goldgrund um 1308—
'3' 1 von Duccio di Buoninsegna (1255—1319), der frühsiene-
sjschen Schule angehörig, gemalt wurden. Jetzt in dem
besitz von Mr. K. H. Benson, gehörten sie ursprüng-

lich
Dom

zu dem großen Altarwerk, das der Künstler für den

"om seiner Vaterstadt geschaffen hatte. Hier in dieser

pfoeit bricht er mit der altbyzantinischen Tradition. Leben,

eine ^Cr ^eweSung und geschickte Gruppierung lassen

, neue Phase in der Malerei erkennen, wenngleich

"nmer der Goldgrund die Stelle des Himmels ein-
nimmt.

Gleichfalls aus der Schule von Siena stammen die beiden,
Patriarchen darstellenden, von M. Herbert Cook geliehenen
Bilder Ugolinos da Siena. Möglicherweise bildeten diese
Figuren den oberen Teil des Hochaltargemäldes von Santa
Croce in Florenz, das Vasari erwähnt und das als großes
Polyptychon sich am Anfang des 19. Jahrhunderts noch
in der Hand von Mr. Ottley vereint befand, aber 1885
infolge eines Auktionsverkaufs in einzelne Teile zerstreut
wurde.

Das, was Duccio für Siena getan, vollbrachte Giotto
für Florenz, indem er noch vollständiger mit der Formel
der Vergangenheit brach, als es je die Schule von Siena
getan. Allein das bisher niemals ausgestellte, Lady Jekyll
gehörige und im Katalog »Salvator Mundi (Nr. 3), Giotto
zugeschriebene Gemälde besitzt alle Anzeichen einer
späteren Periode. Kein solcher Zweifel befällt das von
Bernardo Daddi signierte, aus der Galerie Sir Hubert Parrys
geliehene Werk (Nr. 21), ein Polyptychon, das die Kreu-
zigung und Heilige darstellt. Diese frühflorentinische,
wunderbar gut erhaltene Arbeit muß jedenfalls zu den
Perlen der italienischen Malkunst des 14. Jahrhunderts ge-
zählt werden. Sie bildet ein Mittelding zwischen der Schule
von Siena und Florenz. In ähnlichem Stil gehalten sind
die drei getrennten Teile eines Triptychons von Agnolo
Oaddi (f 1396), den Heiland zwischen dem Engel der Ver-
kündigung und Maria zeigend. Auf dem Bilde Mr. Herbert
Cooks sind zeitgenössische Inschriften in Goldbuchstaben
angebracht, so 11. a. »Ego sum Via, Veritas et Vita.«

Als eine bedeutende Anziehungskraft erweist sich des
Rev. A. F. Suttons Gemälde »Thronende Madonna mit Kind
umgeben von Engeln*, im Katalog unter Nr. 7, jetzt mit
Berechtigung Masaccio, ehemals aber Gentile da Fabriano
zugewiesen, mit dem es allerdings wohl niemals etwas zu
tun gehabt hat. Alles spricht hier zugunsten Masaccios als
eines Meisters, der mit einem Fuße noch in der Tradition
Giottos, mit dem andern schon in der Renaissance steht.
Die kürzlich ausgedrückte Ansicht eines Gelehrten, daß
dies Bild der mittlere Teil des Altarbildes sei, das Ma-
saccio 1426 für die Kirche Carmine in Pisa herstellte, und
von dem Teile sich in Berlin, Wien, Pisa und Neapel befinden,
besitzt viel Wahrscheinlichkeit. Leider kann nicht geleugnet
werden, daß dies Meisterwerk sich in einem sehr schlechten
Erhaltungszustande befindet.

Von großem kunsthistorischen Interesse ist Sir Julius
Wernhers »St. Michael besiegt Satan* (Nr. 11), von Bar-
tolomeo Vermejo, einem spanischen Maler aus der Schule
von Cordova, etwa 1490. Zur linken Hand des Bildes
kniet der Stifter und ebendaselbst zeigt sich die Signatur
»Bartolomeus rubeus fecit«. »Rubeus« ist die latinisierte
Form für Vermejo, eines Künstlers, von dem in letzterer
Zeit einige Werke identifiziert wurden. Nicht nur die alten
spanischen Autoritäten: Pacheco, Martinez, Palomino, der
 
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