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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 23.1912

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Bernath, Morton H.: Franco Lercaros Schüssel und Kanne und ihr Meister
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ACAD. LESEH.

KUNSTCHRONIK

WOCHENSCHRIFT FÜR KUNST UND KUNSTGEWERBE

Verlag von E. A. SEEMANN in Leipzig, Querstraße 13
Neue Folge. XXIII. Jahrgang 1911/1912 Nr. 12. 5. Januar 1912.

Die Kunstchronik erscheint als Beiblatt zur »Zeitschrift für bildende Kunst« monatlich dreimal. Der Jahrgang kostet 8 Mark und umfaßt 40 Nummern.
Die Abonnenten der »Zeitschrift für bildende Kunst« erhalten die Kunstchronik kostenfrei. — Für Zeichnungen, Manuskripte usw., die unverlangt
eingesandt werden, leisten Redaktion und Verlagshandlung keine Gewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E.A.Seemann,
Leipzig, Querstraße 13. Anzeigen 30 Pf. für die dreispaltige Petitzeile nehmen außer der Verlagshandlung die Annoncenexpeditionen an.

FRANCO LERCAROS SCHÜSSEL UND KANNE
UND IHR MEISTER.
Von Morton H. Bernath
Renaissance-Prunkgeräte aus Italien gehören zu den
kunstgewerblichen Seltenheiten, noch seltener aber
kommt es vor, daß man den Meister derselben kennt.
Daher muß der Nachweis des Verfertigers zweier der
schönsten Stücke, die Italien an Goldschmiedearbeiten
aufweisen kann, für die Kunstgeschichte von Nutzen
sein. Es handelt sich hier darum, zwei Prachtstücke
italienischer Goldschmiedekunst ihrem Autor, der zwar
kein Italiener war, aber durch den Ort seiner Tätig-
keit und den Charakter seiner Kunst mit Recht in
die italienische Kunstgeschichte einzureihen ist, wieder-
zugeben. Der Verfasser ist zu dem Ergebnis des
vorliegenden Aufsatzes im Laufe der Vorarbeiten für
die Cellini-Biographie des Allgemeinen Künstlerlexikons
gekommen.

Der im Besitz der Marchesa Fontaneiii befindliche
Palazzo Coccapani in Modena bewahrt die Schüssel
und die dazu gehörige Kanne des Franco Lercaro.
Dieser, ein genuesischer Patrizier, erwähnt sie in seinem
am 17. Februar 1583 aufgesetzten Testament (1799
zu Genua gedruckt) mit den Worten »II bacile et
boccale d'Argento da nie fatto fare, doue resta scol-
pita l'istoria dell' antecessor nostro Megollo Lercaro.«
Durch direkte Erbschaft kamen die beiden Stücke
dann in den Besitz der Imperiali, von denen sie die
Coccapani erhielten.

Eugen Plön, dessen »Benvenuto Cellini« (1882)
ich die meisten der aufgezählten Tatsachen entnehme,
erkannte die Bedeutung dieser Arbeiten. Sie wurden
von der Familientradition, wie auch von den Kennern
dem Benvenuto Cellini zugeschrieben. Dies kann uns
nicht Wunder nehmen, denn noch heute wird jede,
nur irgendwie bedeutende Goldschmiedearbeit in Italien
für da« Werk dieses Meisters ausgegeben. Plön hielt
an der Zuschreibung fest, wenn man jedoch den
künstlerischen Charakter der beiden Stücke im Auge
behält, so erscheint' dies direkt unmöglich, denn trotz
des allgemein-michelangelesken Charakters der Orna-
mentik hat das Figürliche nichts mit den florentinischen
Arbeiten der Zeit zu tun. Durch einen glücklichen
Zufall bin ich dazu gekommen, den Verfertiger der
Stücke zu entdecken. Bevor ich den Meister nenne,
will ich noch an der Hand von Plöns Buch eine
Beschreibung der beiden Arbeiten geben, deren Reliefs
schon durch das Gegenständliche äußerst interessant sind.

Franco Lercaro, der, wie wir oben sahen, nach
seiner eigenen Aussage die Schüssel mit der zu-
gehörigen Kanne hat verfertigen lassen, wollte auf
denselben die abenteuerliche Geschichte seines Vor-
fahren, des Megollo Lercaro, verewigt sehen. Dieser,
ein Genueser Kaufmann, hielt sich am Hofe des
Kaisers von Trapezunt, eines Komnenen, auf, dessen
Gunst er gewann. Eines Tages geriet er beim Schach-
spiel mit einem Günstling des Kaisers in Streit, der,
indem er die Genueser beschimpfte, ihm eine Ohr-
feige gab. Lercaro, umgeben von Freunden des
Jünglings, konnte sich nicht wehren und es blieb ihm
nichts anderes übrig, als schmählich nach Genua
zurückzukehren. Hier hat er mit Hilfe seiner Ver-
wandten und Freunde zwei Schiffe ausgerüstet, mit
denen er auszog, um Rache zu nehmen. Er plünderte
die Schiffe und Küsten des Kaisers von Trapezunt
und behandelte die in seine Hände gefallenen Unter-
tanen des letzteren in der grausamsten Weise, indem
er ihnen Nase und Ohren abschnitt. Alle Gegen-
maßregeln des Kaisers waren umsonst, die flinken
Genuesen entkamen ihm immer. Eines Tages fielen
ein Greis und dessen beide Söhne in seine Hände.
Durch die Bitten des Vaters gerührt, entließ Lercaro
die drei unbehelligt und gab ihnen eine goldene Vase
mit den abgeschnittenen Nasen und Ohren gefüllt
mit, die sie dem Kaiser übergeben sollten mit der
Botschaft, Lercaros Schiffe würden solange nicht ruhen,
bis der Beleidiger ihres Führers ausgeliefert würde. Dem
Kaiser blieb nichts anderes übrig, als seinen Günst-
ling selber zu den Schiffen Lercaros, der gerade in
der Nähe der Küste weilte, zu begleiten und ihn dort
auszuliefern. Der Missetäter flehte kniefällig um sein
Leben. Lercaro aber entließ ihn mit einem Fußtritt
und der Bemerkung »Genueser zeigten sich Frauen
gegenüber niemals grausam«. Zur Erinnerung an
diesen Vorfall, der um 1380 datiert wird, wurde die
Faktorei der Genueser in Trapezunt mit Fresken, die
ihn darstellten, geschmückt.

Diese Geschichte ist also auf den elf Feldern der
Schüssel und den vier auf der Wölbung der Kanne
angebrachten geschildert. Zwischen den einzelnen
Feldern sind so auf Kanne wie Schüssel allegorische
Frauengestalten angebracht. Die übrige, überaus
üppige Dekoration der beiden Stücke besteht aus
einer Unzahl von Masken, Putten, Sirenen, Satiren usw.
im grotesken Geschmack der durch Michelangelo be-
stimmten italienischen Spätrenaissance.
 
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