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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 24.1913

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Waldmann, Emil: Die Sammlung Nemes
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https://doi.org/10.11588/diglit.6192#0123

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KUNSTCHRONIK

Neue Folge. XXIV. Jahrgang 1912/1913 Nr. 16. 17. Januar 1913

Die Kunstchronik und der Kunstmarkt erscheinen am Freitage jeder Woche (im Juti und August nach Bedarf) und kosten halbjährlich 6 Mark.
Man abonniert bei jeder Buchhandlung, beim Verlage oder bei der Post. Für Zeichnungen, Manuskripte usw., die unverlangt eingesandt werden
leisten Redaktion und Verlagshandlung keine Gewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E. A. Seemann, Leipzig, Hospitalstr. 11 a!
Abonnenten der Zeitschrift für bildende Kunst erhalten Kunstchronik und Kunstmarkt kostenfrei. Anzeigen 30 Pf. die Petitzeile; Vorzugsplätze teurer]

DIE SAMMLUNG NEMES
In den letzten Monaten war in der Presse sehr
oft die Rede von jener berühmten Bildersammlung,
die der ungarische Industrielle Herr Marcel von Nemes
während der letzten zehn Jahre zusammengebracht
hat. Und zwar nicht nur in den Fachzeitschriften,
sondern auch und besonders deutlich in der Tages-
presse. Die Sammlung ist jetzt in der Düsseldorfer
Kunsthalle ausgestellt, man sagt, die Stadt Düsseldorf
gehe mit der Absicht um, sie en bloc — es ist ein
Objekt im Werte von etwa 7 Millionen Mark — zu
erwerben, und der Kunstredakteur des »Berliner Tage-
blatt« schrieb bei diesem Anlaß, das sei unnötig,
die Sammlung werde überschätzt und sie sei gar nicht
so gut und es stecke Spekulanteninteresse dahinter;
und Herr v. Nemes ließ verlauten, er sei kein Händler,
und Karl Scheffler meinte, es sei gut, wenn er das
schriftlich gäbe — kurz, man ist über die Dehors
der Sache nachgerade so gut informiert, daß es an
der Zeit scheint, sich auch einmal wieder mit dem
eigentlichen Gegenstand der Diskussion, den Bildern
selbst, zu befassen.

Die Sammlung Nemes war vor etwa zwei Jahren
in München ausgestellt, und der seitdem verstorbene
Generaldirektor der bayrischen Museen, Hugo von
Tschudi, schrieb in den Ausstellungskatalog ein Vor-
wort, das, als Programm des »modernen Galerie-
direktors«, schnell berühmt geworden ist. Alte Kunst
hat nur Sinn in einer modernen Sammlung, wenn sie
zu den modernen Tendenzen irgendwelche positive
Beziehung nachweisen kann; so ungefähr lautet die
Maxime. Kluge Leute haben dem (verstorbenen)
Tschudi nachgerechnet, daß diese Maxime gar nicht so
sehr auf die Sammlung Nemes passe, sondern eigent-
lich mehr auf die Sammlung Havemeyer in New York,
beispielsweise. Das Merkwürdige ist nur, daß die
Sammlung Nemes so schwer als Ganzes zu charak-
terisieren ist. Sie ist heute nicht mehr das, was sie
noch vor ein paar Jahren war. Damals wurde sie von
dem besten deutschen Kenner des internationalen
Bildermarktes auf 2 Millionen Gesamtwert taxiert, die
Grecos, der Clou des Ganzen, inbegriffen. Nun, einen
großen Teil der Sammlung hat damals ein Mann-
heimer Amateur um diese Summe erworben, jedoch
ohne die Grecos. Die Sammlung Nemes wandelt
sich eben von Jahr zu Jahr. Was ist sie heute, zur
Zeit ihrer Ausstellung in Düsseldorf?

Zunächst einmal enthält sie die wertvollsten und
wichtigsten Bilder, die in letzter Zeit überhaupt in
europäischen Privatbesitz gelangt sind, und es wäre
schon deshalb, abgesehen von allem Programm, un-
begreiflich, weshalb eine Stadt wie Düsseldorf, die es
so dringend nötig hat, einmal wieder etwas für ihren

stark verblaßten Kunstruhm zu tun, diese imponierende
Anzahl guter Bilder nicht kaufen sollte. Aber auch
darüber hinaus wäre das für jede Stadt ein Gewinn,
denn die Sammlung hat Charakter. Keinen sehr an-
genehmen, um das gleich zu sagen. Eher einen etwas
schreierischen, sie enthält zu viele »Reißer«, manch-
mal vorwiegend einen großen Namen und oft von
dem großen Namen ein abseitiges Stück. Das kann
auf die Dauer nicht gut gehen, und so ist auch
beispielsweise das Kardinalsbildnis von van Dyck min-
destens ebenso schwach wie frappierend; und die dem
Rubens zugeschriebenen Skizzen sind nicht nur als
Qualität, sondern auch als Authentizität bedenklich.
Das Fresko, das Botticelli heißt, ist ein Hohn auf
Botticelli, es war früher vielleicht einmal ein spätes
Werk aus seinem Atelier; heute aber ist es total ver-
dorben, eine geschminkte Leiche. Was ferner als
»Tintoretto« gilt, ist zum großen Teil nicht einmal
gut genug für Bassano, und man sieht den Bildern
schon von weitem an, daß sie erst auf das von Tschudi
skizzierte Programm hin erworben wurden, weil die
Venezianer nun einmal zur modernen Kunst gehören
und weil hier die empfindlichste Lücke klaffte. Ja,
selbst die berühmten Goyas der Sammlung sind höchst
ungleichwertig, aus dem halben Dutzend sind nur
zwei sehr gut, einer ist ganz schlecht und der Rest
ist langweilig und schwach. — Man sieht, man hat
große Abstriche zu machen von dem klassischen Ruhm
der Nemes-Kollektion. Aber es bleibt Positives.

Das Schwergewicht liegt auf zwei Punkten, auf
Greco und auf den Franzosen des 19. Jahrhunderts.
Kenner der spanischen Malerei behaupten, durch die
zehn Bilder seiner Hand sei Greco glänzend reprä-
sentiert, und in der Tat, vor mindestens drei Stücken
(dem Gethsemane, dem Kardinal Guevara und dem
heiligen Andreas) und vielleicht auch vor dem späten,
fast primitiv wirkenden Jünglingsporträt, das auf den
ersten Blick wie ein Antonis Moro aussieht, hat man
das Gefühl, einem ganz großen Meister gegenüber-
zustehen; die Bilder sind so gut wie der große
Kardinal bei Mrs. Havemeyer und der hl. Martin bei
Mr. Widener. Auch ein Christus ist da, prachtvoll,
bis auf eine etwas affektiert gemalte Hand, die, viel-
leicht weil sie so schön ist, etwas zu viel Realität be-
kommen hat. Die berühmte heilige Familie mit der
gläsernen Fruchtschale bietet eine Enttäuschung, die
Fruchtschale ist wundervoll, aber die Familie ist nicht
auf derselben Höhe. Doch, alles in allem, diese
Grecos bedeuten dem, der Greco zu sehen sonst
keine Gelegenheit hat, ein großes Erlebnis, und eine
Sammlung, die nichts hätte, als diese zehn Grecos,
wäre allein eine Reise wert, da man in Deutschland
sonst auf die beiden, allerdings sehr schönen Münchener
 
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