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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 24.1913

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Die Sommerausstellung der Berliner Sezession
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Verschiedenes / Inserate
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https://doi.org/10.11588/diglit.6192#0242

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463

Nekrologe

464

Sezession her. Zu ihr gehört E. L. Kirchner, der sich
diesmal gar zu wild gebärdet. Ferner E. Heckel, der
neben einigen gewaltsamen Kindlichkeiten einen »Ster-
benden Pierrot« mit seltsamen Linienüberschneidungen
amüsant in das Bildviereck projiziert. Schmitt-Rottluff
kokettiert in einem Georginen-Stilleben mit dem Kubis-
mus, an den auch sonst mancherlei Bilder anklingen,
ohne aber der theoretischen Pedanterie Picassos und
seiner Leute unbedingt zu folgen. Zum Besten der
jungdeutschen Stücke gehört die »Bewegte See« von
Arthur Segal. Als ein Talent von sehr persönlichem,
wenn auch noch ungeklärtem Ausdruck bewährt sich
wieder Oskar Kokoschka, der in drei Gemälden von
blassen, zarten Farben etwas vom keuschen Zauber
der Frührenaissance mit modernen Mitteln wieder-
erstehen lassen möchte. In seinem Fahrwasser, d. h.
mehr in der früheren Art Kokoschkas segelt Max
Oppenheimer, der blutige und asketische religiöse
Themata in sehr preziöser Manier nach sorgsam aus-
geklügelten, geometrisch, errechneten Kompositions-
gesetzen, jedoch nicht ohne eigne Wirkung behandelt.
Eine große Geißelung von ihm macht bei aller Ge-
ziertheit und Absichtlichkeit der gereckten, hageren
Gestalten durch die Verzückung Eindruck, die das
merkwürdige Bild durchströmt. Sieht man von Pech-
stein, Erbslöh und einigen anderen Einzelheiten ab,
so ist der Ertrag an Talentproben nicht sehr groß.
Aber das sehnsüchtige Wollen, das die Arbeiten dieser
ganzen Generation kennzeichnet, beschäftigt den ernsten
Ausstellungswanderer ungemein, und es wird für die
jungen Leute einen nicht zu unterschätzenden Vorteil
bedeuten, daß sie ihre Experimente, die bisher nur
im Atelier oder in exklusiven Kunstsalonwinkeln von
wenigen Vertrauten betrachtet wurden, nun einmal in
breiter Öffentlichkeit sehen; wie es einen Dramatiker
anregen muß, wenn er sein Stück aus dem Buche
in die harte Helle der Bühnenaufführung versetzt sieht.

Nicht groß, aber besonders fein gelungen ist
diesmal die plastische Abteilung der Sezession. In ihr
dominiert Ernst Barlach, der mit einer glänzenden
Kollektion auftritt. Seine Holz-Figuren und -Gruppen,
die kleine Gestalten durch eine souveräne Form-
anschauung aus allen Resten des Genremäßigen zum
Monumentalen emporheben, haben in der subjektiven
Art zu vereinfachen, zusammenzufassen und ungewöhn-
liche überraschende Bewegungsmotive wirken zu lassen,
etwas Hinreißendes; man kann den Eindruck dieser
Dinge gar nicht vergessen. Daß Barlach auch anderes
Material zu behandeln versteht, zeigt seine meisterliche
Porzellanbüste Tilla Durieux', deren slawischen Rasse-
kopf er mit ausgezeichneter Kunst für die glasierte
Masse behandelt hat. Von Gaul sieht man zwei
prächtige Steinarbeiten: liegende Panther. Von Kolbe
die schöne Figur einer »Amazone«, halb flächig in
der Anordnung, von größtem Reiz; von Tuaillon
diesmal nur kleinere Statuetten. Neue Namen ziehen
auch hier die Aufmerksamkeit auf sich, so Renee Sintenis,
eine junge Berliner Dame, die zwei delikate Bronze-
figürchen, weibliche Akte, ausstellt. So Ernesto de
Fiori, ein junger Österreicher, der die aparte, in
manchen Zügen an Minne erinnernde Figur eines

Jünglings in Bronze schickte. Wilhelm Lehmbruck
kennen wir schon als eine der stärksten Hoffnungen
unserer modernen Plastik; auch Karl Ebbinghaus, der
eine Büste beisteuerte, ist kein Fremder mehr.

So schließt sich ein ungewöhnlich reicher Kreis
zusammen, der in der Tat die ganze Fülle des mo-
dernen Schaffens vom reifen Können fertiger Meister
bis zum tastenden Suchen vorwärtsstürmender Neu-
linge umschreibt. m. o.

NEKROLOGE

4- München. Prof. Dr. hon. c. Gabriel Ritter von
Seidl, der bekannte Architekt und Ehrenbürger der Stadt
München, ist Sonntag, den 27. April, 3/4 4 Uhr nachmittags,
nach langem, schwerem Leiden im 65. Lebensjahre ver-
schieden. Mit ihm ist neuerdings eine der typischsten Er-
scheinungen jenes autokratischen Künstlerkreises dahin-
gegangen, der in Franz von Lenbach sein Haupt und seinen
markantesten Vertreter anerkannt hatte, der in seinen Be-
strebungen manchmal nicht ganz unberechtigte Anfeindungen
von Seite der Jüngeren hatte erdulden müssen und gleich-
wohl für die Entwicklung der Kunst in Deutschland von sehr
großer Bedeutung war. Die »Retrospektivität«, die diesen
Künstlern zum Vorwurf gemacht wurde, hat den Grund ge-
schaffen, auf dem die moderne Architektur, das moderne
Kunsthandwerk emporwachsen konnten und eine spätere
Kunstgeschichte wird ihre Bedeutung vielleicht höher ein-
schätzen, als wir uns heute vorstellen, wie ja schon in den
letzten Jahren eine gerechtere, von falschem Enthusiasmus,
wie parteilicher Gegnerschaft sich gleich fernhaltende Beurtei-
lung eingesetzt hat. Seidl, der am 9. Dezember 1848 als Sohn
des kunstsinnigen Bäckers Anton Seidl in München ge-
boren war, hatte nach Absolvierung der Latein- und Ge-
werbeschule das hiesige Polytechnikum bezogen, anfangs
noch schwankend, welchem Beruf er sich zuwenden sollte,
als der große Krieg ihn auf das Schlachtfeld rief, wo er
sich als Artillerist bei Beaugency das Verdienstkreuz er-
warb. Nach dem Friedensschiuli trat er wieder in das
Polytechnikum ein, widmete sich nun ausschließlich der
Baukunst unter Gottfried Neureuther und erregte bereits
1876 auf der deutschen Kunstgewerbeausstellung im Glas-
palast Aufsehen mit einem sehr schlichten und einfachen
bürgerlichen Wohnzimmer. Er trat in nähere Beziehung
zu Lenbach, Gedon und Rudolf Seitz, mit welch letzterem
er eine, vornehmlich auf dem Formenschatz der Renais-
sance und des Barock basierende »Werkstätte für Hand-
werkskunst und Wohnungseinrichtung« gründete. Die
Reihe seiner gleichfalls die Formen der deutschen Renais-
sance bevorzugenden Privat- und öffentlichen Bauten er-
öffnete er mit dem sogen. »Deutschen Haus« beim ehe-
maligen botanischen Garten in München, dem hier wie
in ganz Deutschland eine große Zahl, auch weiteren Krei-
sen bekannter Schöpfungen folgte. Es seien genannt die
Ausgestaltungen des Franziskaner- und Arzberger Kellers,
das Gasthaus zum »Bauerngirgl« in München, die großen
Bierhäuser zum »Spaten« in Berlin, das »Münchener Kindl«
in Straßburg, die Rathäuser in Ingolstadt, Worms und
Bremen, die Privathäuser Franz v. Lenbachs, Fr. A. v.
Kaulbachs, Toni Stadlers, des Kunsthändlers Böhler -
eins seiner harmonischsten Werke — der Neubau des
Ruffiniblocks, das Karlstorrondell, das Künstlerhaus, das
Onuphriushaus, sämtlich in München, die Schlösser und
Villen Freiherr von Heyl in Darmstadt, Schoen in Worms,
Büdesheim (Graf Oriola), Repten (Fürst Henkel Donners-
mark), die kirchlichen Bauten St. Anna am Lechel in
München und St. Gottlieb in Hernsheim und schließlich
 
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