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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 27.1916

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Huebner, Friedrich Markus: Das jetzige Kunstleben in Brüssel
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https://doi.org/10.11588/diglit.6189#0131

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KUNSTCHRONIK

Neue Folge. XXVII. Jahrgang 1915/1916 Nr. 26. 24. März 1916

Die Kunstchronik und der Kunstmarkt erscheinen am Freitage jeder Woche (im Juli und August nach Bedarf) und kosten halbjahrlich 6 Mark.
Man abonniert bei jeder Buchhandlung, beim Verlage oder bei der Post. Für Zeichnungen, Manuskripte usw., die unverlangt eingesandt werden,
leisten Redaktion und Verlagshandlung keine Oewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E.A.Seemann, Leipzig, Hospitalstr. 11 a.
Abonnenten der Zeitschrift für bildende Kunst erhalten Kunstchronik und Kunstmarkt kostenfrei. Anzeigen 30 Pf. die Petitzeile; Vorzugsplätze teurer.

DAS JETZIGE KUNSTLEBEN IN BRÜSSEL

Den Nachrichten zufolge, die über belgische Zu-
stände von der ausländischen Presse verbreitet werden,
müßte, wie alles wirtschaftliche und industrielle Leben,
so auch das Schaffen der belgischen Künstler für den
Augenblick im Totenschlafe liegen. In Wahrheit kann
man von Brüsseler Auktionaren hören (die Übertreibung
trifft immerhin wesentliches), daß die belgischen Maler,
offenbar weil das Publikum bei der Kunst Tröstung
und Oedankenablenkung sucht, niemals rühriger und
betriebsamer waren als heute. Zwar sind einige
Künstler guten Namens, darunter Georges Minne,
außer Landes geflohen; andere stehen als Soldaten im
belgischen Heere, so der Bildhauer Rik Wouters,
der Congomaler Alfred Bastien, der Meerland-
schafter Wagemans, der Radierer Henri Meunier,
der Lütticher Landschafter Charles Houben, dazu
Thiriar, H.Anspach, Ochs usw. Aber es bleiben
noch genug Namen und Talente, die dem Brüsseler
Kunstpublikum mit neuen Arbeiten aufwarten und so
den Betrieb und Markt des Kunstangebots einiger-
maßen wieder ins Gleichgewicht brachten. Zum
Zeugnis, wie lebendig in dieser Okkupationszeit Inter-
esse und Nachfrage immerhin ist, sei auf die Auktion
des Baumeisters und Sammlers Maquet verwiesen, die
am 5. März 1916 im Giroux-Saale stattfand und bei
großem Zulauf eleganten und stadtbekannten Publi-
kums eine Kollektion von 138 Nummern anbot mit
einem Gesamterlös von 51187 Frs. Ein Werk De
Greefs, »Fun des plus beaux tableaux de la vente«,
wie der Sachwalter ausrief, begann mit einem An-
gebote von 900 Frs., um rasch auf die Höhe von
3 500 Frs. zu steigen; Frederic »Der heilige Franz im
Gespräch mit Schwänen« erzielte 1150 Frs. Hey-
mans »Sonnenaufgang im Kempenland« 1300 Frs.,
ein Aquarell von J. B. Madou 600 Frs., Fautazis
Geigenspieler 1200 Frs.

Gut gekauft ward auch auf dem Herbstsalon,
der vorigen September—Oktober in den Räumen des
Musee Moderne abgehalten wurde. Von der Auf-
stellung einer Jury hatte man bei dieser Unternehmung
abgesehen; der Salon war mehr caritativ als künst-
lerisch gemeint; eine Tombola sollte dies noch beson-
ders ausdrücken; sie war reichlich mit Beiträgen aus-
gestattet und hat, wie man hört, für die notleidenden
Künstler einen hübschen Ertrag abgeworfen. Für
diesen Herbstsalon galt — leider in noch stärkerem
Maße — im übrigen das Urteil, welches der Schrift-
steller Georges Eckhoud in seinen »Etudes d'art
contemporain« über den Herbstsalon 1914 gefällt
hatte: »Billigerweise kann man hier nur von Mittel-
mäßigkeiten sprechen; ist nicht aber damit ein Erfolg

schon erzielt, daß keiner unter die Mittelmäßigkeit
herabsinkt?« So fehlten denn die Schlager, die
starken Stücke, die festbannen und von sich reden
machten, zudem waren von der Schau Leute wie
Franz Heus, Opsomer, Celos, Paulus, Baseler, Gilsoul,
Rassenfosse, Bildhauer wie Van der Stappen und
Lagae ferngeblieben.

Unter den Ausstellern, die man mit Achtung zu
nennen hat, ist Fernand Khnopff vielleicht am be-
kanntesten, im guten wie im peinlichen Sinne. Sein
Silberstift, seine kalte Nadel hat nichts eingebüßt von
Schulung, Feinheit und Verstandesmystik. Der Reiz
seiner Arbeiten liegt in dem Beieinander von Legende
und Geometrie, Rausch und Nüchternheit, von fran-
zösischem Geprickel und flämischer Traumverlorenheit;
natürlich ist sein Talent kleiner als das der weiland
Rops oder Beardsley. Es interessierte vorzüglich ein
Heft mit Bleistiftkopien nach Rubens; die Blätter sind
aller Rubensschen Irdischkeit entledigt, der feine Stift
des Künstlers hat aus üppigem Fleisch Träume, aus
roten Wangen, festen bäurischen Muskeln, gehauchte
Eleganz gemacht, aber damit nicht Rubens verfälscht,
sondern neben den Rubens der geschichtlichen Ent-
wicklung einen neuen, der freien nachschaffenden Aus-
legung gestellt. Verwandt im Geiste ist mit Khnopff
der Verhaeren-Illustrator Ramah, der ein paar Blätter
zum Ulenspiegel ausstellt, Blätter, die in persönlicher
Weise das alte, kernige Volksbuch umdeuten ins Sym-
bolisch-Verfeinerte und ins Märchenhafte. Von hier
aus bis zu Geo Drains ist der Schritt weit; Drains,
bei dem man an den englischen Illustrator Dulac
erinnert wird, legt allen Wert auf das Heraldische;
der alte König, den er ausstellt, ist wie ein Theater-
bild behängt mit erlesenen Gewändern; der Symbo-
lismus gibt sich hier als rein dekorative Besonderheit.

Unter den Ölmalereien mochte einem vielleicht das
große Bild von Auguste Olesse (Fleurs) zuerst auf-
fallen; aber man kennt diese helle, robuste Maltechnik,
die von den Münchnern Erler und Putz aufgebracht
wurde, zu gut; man verlangt allmählich wieder mehr
als das geschulte Handgelenk; der Geist und das
Geistige sollen wieder im Bilde wohnen und uns
ergreifen. Und man entdeckte dann Sachen kleineren
Formats, die innerlich länger zum Verweilen luden und
die viel weniger »modern« gemacht sind. Man kann
sie fast zusammen nennen, die Herren Henri Stiel le-
mans, S. v. Zevenberghen, Alfred Verhaeren und
Jean Frangois Taelemans. Man kann sie deswegen
zusammen nennen, weil die Art, wie sie Weichheit,
träumerische Verschwommenheit der Formen, Leuchten
des Tons und der Zwischentöne »herauskriegen«, bei
diesen vier nach einem selben Ehrgeiz, nach einer
gleichen Kultur des Sehens weist. Dabei spielt das
 
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