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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 29.1918

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Ring, Grete: Die Brüder Boisserée als Kenner und Sammler
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https://doi.org/10.11588/diglit.6188#0043

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KUNSTCHRONIK

Neue Folge. XXIX. Jahrgang 1917/1918 Nr. 7. 16. November 1917

Die Kunstchronik und der Kunstmarkt erscheinen am Freitage jeder Woche (im Juli und August nach Bedarf) und kosten halbjährlich 10 Mark
Man abonniert bei jeder Buchhandlung, beim Verlage oder bei der Post. Für Zeichnungen, Manuskripte usw., die unverlangt eingesandt werden,
leisten Redaktion und Verlagshandlung keine Gewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E. A Seemann, Leipzig, Hospitalstr. IIa.
Abonnenten der Zeitschrift für bildende Kunst erhalten Kunstchronik und Kunstmarkt kostenfrei. Anzeigen 30 Pf. die Petitzeile; Vorzugsplätze teurer.

DIE BRÜDER BOISSEREE ALS KENNER UND
SAMMLER1)

Die Kunstgeschichte pflegt sich als junge voraus-
setzungslose Wissenschaft zu fühlen, etwa im Gegen-
satz zur Archäologie, die von einer ruhmvollen Ver-
gangenheit nahezu zweier Jahrhunderte belastet ist.
Der junge kunstgeschichtliche Doktorand, der die
Literatur der letzten 30 Jahre geprüft hat, macht sich
meist unbekümmert über sein Thema her, in der
sicheren Voraussetzung, daß vor dieser Zeit doch
nichts habe publiziert werden können, was im Sinne
der neuesten Forschung irgend der Beachtung wert
sei. Es tut daher gut, einmal zu den Ahnen der
neuen Kunstschreibung hinabzusteigen und demütig
zu erkennen, wie vieles schon von dem vorweg ge-
dacht ist, was der heutigen Generation als letzte Er-
rungenschaft erscheint. Der stattliche Band von
Firmenich-Richartz »Sulpiz und Melchior Boisseree
als Kunstsammler« — der erste Teil einer großange-
legten Publikation — gibt Gelegenheit, der altdeutsch-
altniederländischen Kunstschreibung zu den ersten Jahr-
zehnten des 19. Jahrhunderts nachzugehen. Von dem
schriftlichen Nachlaß der Brüder Boisseree war bisher
nur ein Bruchteil zusammenhängend ediert: die Aus-
wahl aus den Briefen und Tagebüchern des Sulpiz
Boisseree, von seiner Witwe Mathilde getroffen (1862),
eine leicht familienmäßig anekdotisch gefärbte Zu-
sammenstellung, die die schillernde Persönlichkeit
des Schreibers immerhin gut einzufangen vermochte.
Wer einmal selbst versucht hat, aus der schier un-
übersehbaren Fülle der mit Sulpiz' feiner Damenhand
eng bedeckten Oktavhefte und Quartbände des Kölner
Stadtarchivs herauszulesen, was für die Erkenntnis des
romantischen Kunstgeschmacks wie für die Anfänge
altdeutscher Kunstforschung wesentlich blieb, wird
die Leistung Firmenich - Richartz' hoch bewerten
müssen. Es handelt sich hier nicht um eines jener
schnell zusammengezimmerten Machwerke, wie das
Gefühl der starken inneren Verwandtschaft unserer
Tage mit der Epoche der Romantik sie gerade in der
letzten Zeit pilzartig hat emporschießen lassen, sondern
um das Ergebnis einer lang und sorgsam vorbe-
reiteten Lebensarbeit. Das Material ist reich ausge-
breitet, eine Gliederung des Chaos ist versucht, wich-
tigeren Einzelheiten ist — besonders in den vorbildlich
gearbeiteten Anhängen — mit Treue nachgegangen.
Ein Tüfteln im Detail scheint mir der Würde der
Arbeit schlecht zu entsprechen; so ist es beispiels-
weise unvermeidlich, daß bei dem vielfachen Hin-

1) Zu: E. Firmenich-Richartz, Sulpiz und Melchior
Boisseree als Kunstsammler. Ein Beitrag zur Geschichte
der Romantik. Jena 1916.

und Herschieben der Bilder des bayrischen Galerie-
bestandes einige Stücke nicht mit dem letzten Stand-
ort angeführt werden konnten. Zwei Nummern
des alten Verzeichnisses der Boissereegalerie (An-
hang III), die Firmenich-Richartz als verschollen
angibt, glaube ich in bayrischem Staatsbesitz nach-
weisen zu können: Nr. 29 »Porträt eines Mannes
mit schwarzem Barett, darauf eine weiße Feder,
von einem unbekannten Meister«, halte ich für iden-
tisch mit dem französischen Männerporträt der
Alten Pinakothek, Nr. 1314; Nr. 199 »Die schmerz-
hafte Mutter, schwarzer Grund«, ist mit dem Hermann
in Schleißheim Nr. 3423 gleichzusetzen.

Der Stellung des Themas entsprechend handelt
Firmenich-Richartz mehr von den Sammlern als den
Forschern in den Boisseree. Es sei daher hier aus
dem Reichtum der abgedruckten Notizen einiges zu-
sammengestellt, was den wortführenden Bruder Sulpiz
Boisseree in seiner Eigenschaft als Kenner bezeichnet.
Um der Leistung des >Experten« Sulpiz gerecht zu
werden, muß zunächst von der leidigen Gewohnheit
der Zeit abgesehen werden, zur Bezeichnung der
deutlich erkannten Sonderart einer Bildergruppe einen
beliebigen berühmten Meisternamen heranzuziehen.
Auf diese Weise mußte sich eine ganze irreführende
Terminologie herausbilden, zu deren Deutung uns
ein entwirrender Schlüssel nötig ist. Sulpiz stellt
beispielsweise das Werk des Meisters des Marienlebens
nahezu lückenlos zusammen, deckt den Zusammen-
hang der Fresken der Hardenrathkapelle zu St.
Marien in Capitol mit des Meisters Stil auf, benennt
jedoch den Anonymus ohne Gewähr »Israel van
Meckenem«. Ebenso deutlich erkennt Sulpiz die Art
des Meisters des Marientodes, den er zeitweise mit
»Schoreel« identifiziert, ohne den Stil je wirklich
mit dem des Holländers Jan van Scorel zu vermengen.
Sulpiz' Zusammenstellung des Marientod - Oeuvres ist
der neuartigsten Forschung würdig (Brief vom
8. August 1838): »Das Bild im Museum (von Neapel)
in Schorels Art stellt auch die drei Könige dar . . .
Ich kenne« nun mit diesem außer unserer Sammlung
5 große bedeutende Bilder von dieser Hand. In
Paris den hl. Franz, die Wundmale empfangend, in
der unteren Abteilung sehr schön das Abendmahl in
Brustbildern, in Dresden zweimal die Anbetung der
Könige und in Frankfurt die Abnahme vom Kreuz.«
Es ist erstaunlich, wie die Stilwandlungen des Meisters
von der altertümlichen kleineren Anbetung von Dres-
den über den Altar der Beweinung im Städel von
1524 hinaus zu der großen Dresdner Anbetung und
dem ganz späten Beweinungsaltar des Louvre mit dem
von Lionardo inspirierten Abendmahl in der Predelle
den Kenner nicht irre gemacht haben. Memlings
 
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