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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 29.1918

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Ring, Grete: Die Brüder Boisserée als Kenner und Sammler
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Verschiedenes / Inserate
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https://doi.org/10.11588/diglit.6188#0045

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Die Brüder Boisseree als Kenner und Sammler — Sammlungen — Ausstellungen

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erhebungen, die F.-R. abdruckt, seien die der Hum-
boldts, Zacharias Werners und Thorwaldsens hervor-
gehoben. Unbeirrt in norddeutscher Klarheit ist bei
aller Anerkennung das Urteil Schinkels; er erscheint
beispielsweise als der einzige der Besucher, der den
berühmten »eyckischen« Christuskopf recht einschätzt:
der Kopf »hat bei seinem steifen typischen Charakter
kein Interesse in mir erregt... und ich begreife das leere
Publikum nicht, welches davon das größte Geschrei
macht« (17. Juli 1824). Die Monarchen ganz Europas
schritten leutselig lobend und aufmunternd durch die
Ausstellungen der Boissereeschen Schätze, bis sich der
junge romantisch-idealistische Ludwig von Bayern als
Käufer fand. Die Verhandlungen mit Bayern, geführt
durch den Münchner Galerieleiter Dillis — der als Expert
gegen Sulpiz erheblich abfällt und in seiner Auswahl
der »besten Stücke« Hauptwerke der Sammlung aus-
läßt — liegen lückenlos vor, ebenso die mißglückten
Vorverhandlungen mit Frankfurt, Stuttgart, Berlin.
Wir sehen nicht ohne Staunen, wie ein Verkauf des
im vaterländischen Interesse zusammengebrachten Guts
nach Paris erwogen wird. Analogien zwischen den
Boisseree und dem Sammelwesen von heute drängen
sich unabweisbar auf: der Typ des Sammlerexperts,
des marchand amateur scheint vorgeahnt. Es muß
jedoch bei alledem betont werden, daß durch die
Geschäftstüchtigkeit der Boisseree hindurch der Grund-
zug einer echten Liebe zu den Objekten, eines ur-
sprünglichen Enthusiasmus gewahrt bleibt.

Die gleiche seltsame Mischung von Zweckmäßig-
keit und echtem Gefühl ist es, die Sulpiz in seinem
Verhältnis zu Goethe kennzeichnet. Die Gründe, aus
denen die Boisseree Goethes Freundschaft gesucht
hatten, waren gewiß nicht die lautersten, und Doro-
thea Schlegels Medisanz geht kaum fehl, wenn sie
argwöhnt, daß »die Boisseree solange um den alten
Heiden herumgeschwänzelt sind«, um das »Kunst-
adelsdiplom« für ihre Sammlung zu erringen. Die
anfängliche Reserve Goethes, der klar erkennt, daß
die Jugend »ihm wohl den Einfluß, sich selbst jedoch
die Einsicht« zutraut und ihm allein »in der Absicht
naht, die erste zugunsten der letzten zu nutzen«,
schmilzt unter Sulpiz' rheinischer Liebenswürdigkeit
im gleichen Maße, wie das zweckvolle Werben der
Kölner um die Gunst des Olympiers zu wahrer
Verehrung emporwächst. Die Neigung des großen
Alten für die jugendlichen Anreger veranlaßt ihn,
auch den gerühmten Kunstwerken näherzutreten, doch
bleibt die altdeutsche Kunstwelt ein Fremdkörper in
seinem Wesen. In das Netz der klugen Freunde
verstrickt bittet der Alte fast rührend, ihn bei der
Propaganda möglichst aus dem Spiele zu lassen,
weiß sich jedoch bald genug wieder von dem Ein-
fluß freizumachen: die Beschreibung der Bilder der
Sammlung, die die Brüder sehnlichst erwarteten und
zu der Sulpiz jahrelang treulich Material zusammen-
trug, unterblieb, und allgemach verwehte die Rhein-
und Mainluft wieder gänzlich aus des Meisters Werk.
Sulpiz' Verhältnis zu Goethe macht den Haupt- und
Kernteil von F.-R.s Ausführungen aus. Es ist lehr-
reich zu sehen, wie Goethe Sulpiz' System der Stil-

wandlungen akzeptiert, doch in Sachen allgemeiner
Weltanschauung von vornherein in seiner Ablehnung
verharrt. Dem fundamentalen Gegensatz und damit zu-
gleich den Grenzen der Boissereeschen Kunstanschauung
gibt Goethe klarsten Ausdruck: »Wir (die Boisseree)
hingen am Gegenstand und müßten daran hängen, das
sey recht und das gehöre zur ganzen Ansicht, aber es
sey nicht das Höchste.« (15. September 1815.) Es
bleibt für die Nachwelt der erste Ruhm der Boisseree,
daß sie als Kenner und Sammler dem Besten ihrer Zeit
genug getan. GRETE RING.

SAMMLUNGEN
Man schreibt uns: Die Mitteilung, daß die Galerie
Leuchtenberg aus Petersburg in den Handel nach
Stockholm gekommen sei, hat nur in sehr eingeschränktem
Maße seine Richtigkeit. Die wertvolleren Bilder, darunter
ein Selbstporträt von Rembrandt, ein trefflicher Pieter
de Hooch, Bilder der beiden Ostade, von Metsu usf., sind
bereits vor zwölf Jahren an einen Londoner Kunsthändler
verkauft worden und meist in amerikanische Privatsamm-
lungen gekommen. .Der Metsu »Die kranke Frau« ist
damals für die Berliner Galerie gesichert worden. Der
Teil der Sammlung, der dem ältesten der vier Brüder,
dem Herzog, gehöite, ist damals so wenig als jetzt ver-
kauft. Er befindet sich auf einem Schloß des Herzogs in
Bayern, und die beiden Hauptbilder: ein Bouts und ein
Palma Vecchio, sind z. Z. in der Pinakothek untergebracht.

Die Bronzebüste des ehemaligen Düsseldorfer Ober-
bürgermeisters von Becker, ein Werk des Berliner Bild-
hauers Karl Ebbinghaus, hat der Kunstverein für die
Rheinlande undWestfalen erworben undderStadtDüsseldorf
zum Geschenk gemacht. Das auf der diesjährigen Düssel-
dorfer Kunstausstellung viel beachtete Kunstwerk soll in
der Düsseldorfer städtischen Galerie aufgestellt werden.

AUSSTELLUNGEN
Chemnitz. Aus Anlaß des zehnjährigen Bestehens
veranstaltete die Chemnitzer Künstlergruppe in der
Kunsthütte eine Ausstellung, die in guter Gesamtwirkung
ein treffliches Zeugnis ihres künstlerischen Ernstes und
ihres eigenwilligen Strebens gab. Es ist nicht leicht für
Künstler, in einer Stadt ohne künstlerische Tradition, mit
geringer künstlerischer Resonanz, unbeirrt den eigenen
Weg zu gehen. Die Chemnitzer habens getan ohne Schielen
nach rechts und links, ohne Rücksicht auf Verkauf und
Anerkennung, schwer, ernst, zielbewußt, jedes seiner Ver-
anlagung gemäß. — Am stärksten tritt auch dieses Mal das
Talent Gustav Schaffers hervor. Von seinen von deut-
scher Altmeisterlichkeit umwehten Ölbildern ist »Der Blinde«
ein visionär geschautes Werk. Das Trost- und Freudlose
der Blindheit ist selten in solch ergreifender, ja erschüttern-
der Weise dargestellt worden wie von ihm. Seine Zeich-
nungen weiblicher Köpfe mögen wohl aufs erste an Dürer
denken lassen, verraten aber bei vertiefender Betrachtung
soviel Eigenpersönliches, daß man ihnen ein Überdauern
der Gegenwart voraussagen kann. Ein starkes Stilgefühl
paart sich mit tiefem seelischen Erfassen, geschlossen und
zusammengefaßt, dem Alltag entrissen, haben sie etwas
von stiller Größe und tiefer Feierlichkeit. — In Martha
Schrags Bildern ringt eine Künstlerin um die endgültige
ausdrucksvolle Gestaltung der Industriestätte. Schwer und
unheimlich geistern die Farben oder schlagen wild lodernd
empor, sich ungestüm verzehrend. Ein Schrilles klingt
noch durch Form und Farbe, das sich in dem besten Werke
 
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