KUNSTCHRONIK
Neue Folge. XXIX. Jahrgang 1917/1918 Nr. 8. 23. November 1917
Die Kunstchronik und der Kunstmarkt erscheinen am Freitage jeder Woche (im Juli und August nach Bedarf) und kosten halbjährlich 10 Mark
Man abonniert bei jeder Buchhandlung, beim Verlage oder bei der Post. Für Zeichnungen, Manuskripte usw., die unverlangt eingesandt werden,
leisten Redaktion und Verlagshandlung keine Gewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E.A Seemann, Leipzig, Hospitalstr. 1 la.
Abonnenten der Zeitschrift für bildende Kunst erhalten Kunstchronik und Kunstmarkt kostenfrei. Anzeigen 30 Pf. die Petitzeile; Vorzugsplätze teurer.
AUSSTELLUNG VON WERKEN NEUERER KUNST
AUS HAMBURGER PRIVATBESITZ
Das Hamburger Kunstleben ist niemals reich ge-
wesen an Ereignissen von bedeutendem Anregungs-
wert. Um so wichtiger erscheint die Ausstellung aus
Hamburgischem Privatbesitz, die der »Frauenbund zur
Förderung deutscher bildender Kunst« in den Räumen
der Kunsthalle veranstaltet hat, bedeutend sowohl in
lokaler als_ in programmatischer Beziehung. Eine
lückenlose Übersicht allerdings über die private Ham-
burgische Sammeltätigkeit zu geben, ist die Aus-
stellung nicht geeignet. Es sind nur solche Bilder
ausgewählt, die in den Interessenkreis des Frauen-
bunds gehören: Werke der Kunst der Gegenwart
und solche der jüngsten Vergangenheit, die mit Ent-
schiedenheit neue Wege weisen. Dabei zeigte es
sich, daß die wenigen großen Sammlungen nur einen
verhältnismäßig geringen Bruchteil ihrer Gesamtbe-
stände beisteuern konnten, daß also in ihnen Werke
ausgesprochen expressionistischer Prägung nur selten
und in vorsichtiger Auswahl Aufnahme gefunden
haben. Der weitaus größte Teil der ausgestellten
Bilder stammt von Besitzern, die nicht Sammler im
eigentlichen Sinne genannt werden können. Es sind
solche, deren oft leidenschaftliches Interesse sich ein-
zelnen bedeutenden jüngeren Meistern zugewandt hat,
und andere, die an wenigen, aber gewählten Stücken
der neuesten Richtung sich langsam einzufühlen ver-
suchen in die künstlerischen Probleme der Gegen-
wart — die vornehmste und fruchtbarste Art privater
Kunstförderung überhaupt. So beschämend es für
eine bedeutende und wohlhabende Stadt wie Hamburg
ist, daß die größeren Sammlungen von Rang an den
Fingern herzuzählen sind, so erfreulich und über-
raschend ist die Tatsache, daß sich hier — wenn
auch immer innerhalb der bescheidenen Grenzen
Hamburgischen Geisteslebens — ein erfreulich großer
Kreis von Kunstfreunden zusammengefunden hat, der
gerade den Absichten der »Jüngsten« ernste Aufmerk-
samkeit schenkt. Wie weit hier bereits der Frauen-
bund, der noch nicht zwei volle Jahre besteht, von
Einfluß gewesen ist, mag dahingestellt bleiben. Sicher
aber ist es für die private Sammeltätigkeit nicht ohne
Bedeutung gewesen, daß eine so rege Vorkämpferin
jüngster künstlerischer Ideale wie Fräulein Dr. Rosa
Schapire, die geistige Urheberin des Bundes, schon
lange in Hamburg anregend gewirkt hat.
Bei einer solchen Heerschau der Jüngsten braucht
heute nicht mehr so sehr die theoretische Berechtigung
der »Richtung« als vielmehr die Bedeutung der ein-
zelnen Talente diskutiert zu werden. Die Überwindung
des Naturalismus, die Vergeisterung des künstlerischen
Vorwurfs, der Wille zu einem neuen strengen Stil
sind auf allen Gebieten künstlerischer Betätigung mit
solchem Nachdruck und solcher Folgerichtigkeit immer
wieder als Forderung aufgestellt worden, daß ihre
entwicklungsgeschichtliche Notwendigkeit billigerweise
nicht mehr bezweifelt werden kann. Nicht nur durch
Rede und Schrift, auch durch programmatische Aus-
stellungen — beginnend mit der bedeutenden Ver-
anstaltung des Sonderbunds in Köln im Jahre 1912,
zuletzt durch die Frankfurter Ausstellung der »Ver-
einigung für Neue Kunst«, einer dem Frauenbund
verwandten Gründung, im Juni dieses Jahres — sind
die ernsthafte Zielstrebigkeit und die überraschende
Einheitlichkeit des Gesamtschaffens deutlich genug
bewiesen. Problematisch ist heute nicht mehr die
künstlerische Absicht, sondern der Wert der persön-
lichen Leistung. Um über die tatsächlich spürbare
Kluft zwischen Wollen und Vollbringen hinwegzu-
täuschen, pflegt man in der Regel den tastenden Ver-
suchen der jungen deutschen Generation die ausge-
reiften Meisterwerke ihrer französischen Geistesver-
wandten und Anreger zuzugesellen in der Absicht,
das Gesamtniveau einer solchen Ausstellung dadurch
zu heben. Daß das in Hamburg nur in sehr
geringem Maße geschehen ist, lag nicht so sehr
an dem unzureichenden Material der Hamburger
Sammlungen — Renoir und Cezanne z. B. sind
nicht ausgestellt, obgleich sie in Privatbesitz gut ver-
treten sind — als vor allem an der Erkenntnis, daß
man gerade den Besten unserer jungen Deutschen
unrecht tut, ihre Werte an den Höchstleistungen
fremdländischer Malkultur zu messen. Gerade die
Hamburger Veranstaltung zeigt deutlich, daß nur
mehr die unselbständigsten, wenn auch gewiß die
kultiviertesten Talente heute in einem Schülerverhältnis
zu Frankreich stehen. Nur van Gogh, nicht Franzose
sondern Germane in seinen entscheidenden Werten,
steht über allen und kann aus der Ahnenreihe auch
unserer stärksten Künstler nicht gestrichen werden.
Doppelt schmerzlich daher, daß er nur mit vier
wenig charakteristischen, wenn auch sehr schönen
Werken der Frühzeit vertreten ist. Die anderen aus-
gestellten Franzosen sind zeitgenössische Meister,
Picasso an der Spitze mit sechs Bildern, darunter
der bekannte »Federschnitzer« und die »Absinth-
trinkerin« aus der besten Zeit. Neben ihm stehen,
in weitem Abstand freilich, Camoin und Vlaminck,
Herbin und Friesz. Matisse fehlt. Was sich von
deutschen Meistern hier anschließen läßt, ist kühn
und blendend, aber auch eklektisch: Nauens festlich
leuchtende Blumenstücke, Deussers geschickt kom-
poniertes und farbig wohlausgewogenes Kirchen-
bild. Weißgerbers Jeremias, eines seiner besten
Neue Folge. XXIX. Jahrgang 1917/1918 Nr. 8. 23. November 1917
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AUSSTELLUNG VON WERKEN NEUERER KUNST
AUS HAMBURGER PRIVATBESITZ
Das Hamburger Kunstleben ist niemals reich ge-
wesen an Ereignissen von bedeutendem Anregungs-
wert. Um so wichtiger erscheint die Ausstellung aus
Hamburgischem Privatbesitz, die der »Frauenbund zur
Förderung deutscher bildender Kunst« in den Räumen
der Kunsthalle veranstaltet hat, bedeutend sowohl in
lokaler als_ in programmatischer Beziehung. Eine
lückenlose Übersicht allerdings über die private Ham-
burgische Sammeltätigkeit zu geben, ist die Aus-
stellung nicht geeignet. Es sind nur solche Bilder
ausgewählt, die in den Interessenkreis des Frauen-
bunds gehören: Werke der Kunst der Gegenwart
und solche der jüngsten Vergangenheit, die mit Ent-
schiedenheit neue Wege weisen. Dabei zeigte es
sich, daß die wenigen großen Sammlungen nur einen
verhältnismäßig geringen Bruchteil ihrer Gesamtbe-
stände beisteuern konnten, daß also in ihnen Werke
ausgesprochen expressionistischer Prägung nur selten
und in vorsichtiger Auswahl Aufnahme gefunden
haben. Der weitaus größte Teil der ausgestellten
Bilder stammt von Besitzern, die nicht Sammler im
eigentlichen Sinne genannt werden können. Es sind
solche, deren oft leidenschaftliches Interesse sich ein-
zelnen bedeutenden jüngeren Meistern zugewandt hat,
und andere, die an wenigen, aber gewählten Stücken
der neuesten Richtung sich langsam einzufühlen ver-
suchen in die künstlerischen Probleme der Gegen-
wart — die vornehmste und fruchtbarste Art privater
Kunstförderung überhaupt. So beschämend es für
eine bedeutende und wohlhabende Stadt wie Hamburg
ist, daß die größeren Sammlungen von Rang an den
Fingern herzuzählen sind, so erfreulich und über-
raschend ist die Tatsache, daß sich hier — wenn
auch immer innerhalb der bescheidenen Grenzen
Hamburgischen Geisteslebens — ein erfreulich großer
Kreis von Kunstfreunden zusammengefunden hat, der
gerade den Absichten der »Jüngsten« ernste Aufmerk-
samkeit schenkt. Wie weit hier bereits der Frauen-
bund, der noch nicht zwei volle Jahre besteht, von
Einfluß gewesen ist, mag dahingestellt bleiben. Sicher
aber ist es für die private Sammeltätigkeit nicht ohne
Bedeutung gewesen, daß eine so rege Vorkämpferin
jüngster künstlerischer Ideale wie Fräulein Dr. Rosa
Schapire, die geistige Urheberin des Bundes, schon
lange in Hamburg anregend gewirkt hat.
Bei einer solchen Heerschau der Jüngsten braucht
heute nicht mehr so sehr die theoretische Berechtigung
der »Richtung« als vielmehr die Bedeutung der ein-
zelnen Talente diskutiert zu werden. Die Überwindung
des Naturalismus, die Vergeisterung des künstlerischen
Vorwurfs, der Wille zu einem neuen strengen Stil
sind auf allen Gebieten künstlerischer Betätigung mit
solchem Nachdruck und solcher Folgerichtigkeit immer
wieder als Forderung aufgestellt worden, daß ihre
entwicklungsgeschichtliche Notwendigkeit billigerweise
nicht mehr bezweifelt werden kann. Nicht nur durch
Rede und Schrift, auch durch programmatische Aus-
stellungen — beginnend mit der bedeutenden Ver-
anstaltung des Sonderbunds in Köln im Jahre 1912,
zuletzt durch die Frankfurter Ausstellung der »Ver-
einigung für Neue Kunst«, einer dem Frauenbund
verwandten Gründung, im Juni dieses Jahres — sind
die ernsthafte Zielstrebigkeit und die überraschende
Einheitlichkeit des Gesamtschaffens deutlich genug
bewiesen. Problematisch ist heute nicht mehr die
künstlerische Absicht, sondern der Wert der persön-
lichen Leistung. Um über die tatsächlich spürbare
Kluft zwischen Wollen und Vollbringen hinwegzu-
täuschen, pflegt man in der Regel den tastenden Ver-
suchen der jungen deutschen Generation die ausge-
reiften Meisterwerke ihrer französischen Geistesver-
wandten und Anreger zuzugesellen in der Absicht,
das Gesamtniveau einer solchen Ausstellung dadurch
zu heben. Daß das in Hamburg nur in sehr
geringem Maße geschehen ist, lag nicht so sehr
an dem unzureichenden Material der Hamburger
Sammlungen — Renoir und Cezanne z. B. sind
nicht ausgestellt, obgleich sie in Privatbesitz gut ver-
treten sind — als vor allem an der Erkenntnis, daß
man gerade den Besten unserer jungen Deutschen
unrecht tut, ihre Werte an den Höchstleistungen
fremdländischer Malkultur zu messen. Gerade die
Hamburger Veranstaltung zeigt deutlich, daß nur
mehr die unselbständigsten, wenn auch gewiß die
kultiviertesten Talente heute in einem Schülerverhältnis
zu Frankreich stehen. Nur van Gogh, nicht Franzose
sondern Germane in seinen entscheidenden Werten,
steht über allen und kann aus der Ahnenreihe auch
unserer stärksten Künstler nicht gestrichen werden.
Doppelt schmerzlich daher, daß er nur mit vier
wenig charakteristischen, wenn auch sehr schönen
Werken der Frühzeit vertreten ist. Die anderen aus-
gestellten Franzosen sind zeitgenössische Meister,
Picasso an der Spitze mit sechs Bildern, darunter
der bekannte »Federschnitzer« und die »Absinth-
trinkerin« aus der besten Zeit. Neben ihm stehen,
in weitem Abstand freilich, Camoin und Vlaminck,
Herbin und Friesz. Matisse fehlt. Was sich von
deutschen Meistern hier anschließen läßt, ist kühn
und blendend, aber auch eklektisch: Nauens festlich
leuchtende Blumenstücke, Deussers geschickt kom-
poniertes und farbig wohlausgewogenes Kirchen-
bild. Weißgerbers Jeremias, eines seiner besten