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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 29.1918

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Heise, Carl Georg: Ausstellung von Werken neuerer Kunst aus Hamburger Privatbesitz
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Verschiedenes / Inserate
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Ausstellung von Werken neuerer Kunst aus Hamburger Privatbesitz — Personalien

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vollste der Ausstellung — obgleich, und das muß im
Interesse des Künstlers nachdrücklich betont werden,
seine stärksten Bilder fehlen. Leider gibt es in Ham-
burgischem Privatbesitz keine einzige seiner bedeuten-
den religiösen Kompositionen, auf denen vor allem
einst sein Ruhm sich gründen wird. Eine Reihe
farbiger Studienblätter, zwölf Apostelköpfe, müssen
die Lücke füllen. Ihre Formen sind von grotesker
Unwirklichkeit, aber voll gesteigerten inneren Lebens:
Visionen eines Menschenbildners und Seelenkundigen
von der Intensität und dem Maß alttestamentarischer
Dichter-Propheten. Als Ergänzung kommen drei Aqua-
relle aus Neu-Guinea hinzu. Dieselbe ursprüngliche
Sinnlichkeit, die in den Apostelköpfen die religiöse
Menschlichkeit gestaltet, bildet hier die ewige Indivi-
dualität der Rasse. Alles übrige sind Landschaften: die
leuchtenden Blumengärten der Frühzeit und Meer-
bilder, Werke von heimlich sich sammelnder Kraft.
Selbst wer zu Nolde, dem Gestalter innerer Gesichte,
den Zugang noch nicht gefunden hat, wird hier Be-
wunderung lernen vor dem Maler, der sein tief an-
dächtiges Anschauen der Natur so überzeugend auf
der Leinwand umzusetzen versteht in kühne Rhythmen
und Farbenakkorde.

Der letzte Saal ist den Hamburgern eingeräumt.
Er ist stiller, geschmackvoller und einheitlicher als
alle übrigen. Doch indem man diese Anerkennung
ausspricht, muß man sich bewußt bleiben, daß damit
auch die Grenzen scharf bezeichnet sind. Es ist nicht
unbedenklich, daß man zunächst den Eindruck hat,
die Werke der neun verschiedenen Künstler könnten
von der Hand nur eines einzigen gemalt sein. Gleich
ist allen die sehr ernsthafte französische Schulung, ein
zarter, vornehmer Farbengeschmack, aber auch eine
gewisse ängstliche Zurückhaltung gegenüber allen Be-
strebungen einer kraftvolleren Ausdruckskunst. Der
wägende Intellekt beherrscht die natürliche Begabung.
Ambesten sind Ahl ers-H est ermann und Friedrichs
vertreten, dieser u. a. mit einem Stilleben nach Cezanne-
schem Vorbild von kräftigem Vortrag und glutvoller
Farbigkeit, jener mit fein abgestimmten Landschaften
und einem Bildnis seiner Frau, dessen straffer Aufbau
und schlichte, großartige Formgebung den Durch-
schnitt seiner Umgebung weit hinter sich läßt. Vom
Ausbau und der Vertiefung solcher zäh erarbeiteten
Resultate wird es abhängen, ob die Hamburger Gruppe
sich langsam auch innerhalb des gesamtdeutschen
Kunstschaffens der Gegenwart einen geachteten und
mitbestimmenden Platz wird erobern können. Die
Malerei FranzNölkens, des bekanntesten und pro-
duktivsten der jungen Hamburger Künstler, wird mit
einem kleinen Reger-Bildnis und einer wenig belang-
reichen Landschaft nicht hinreichend charakterisiert.
Bruck mit zwei Landschaften von sehr achtbarer
Durchschnittsqualität, der im Krieg gefallene Rosam,
Alma del Banco und Gretchen Wohlwill
schließen sich an ohne besonders charaktervolle und
eigene Note. Zwei andere Künstlerinnen aber ver-
dienen ernstliche Beachtung. Alexandra Povorina,
die Gattin Ahlers-Hestermanns, ist Russin von Geburt
und hat auf die ganze Gruppe schon in Paris stark

anregend gewirkt. Sie hat von allen vielleicht die größte
natürliche Begabung und sicherlich das stärkste Tempe-
rament, wenn auch ihre künstlerischen Leistungen un-
gleich sind, nicht restlos gerundet uud technisch noch
nicht völlig beherrscht. Ein Brustbild einer alten Frau
von feiner malerischer Haltung und stark durch-
geistigtem Ausdruck zeigt ihre Kunst von ihrer besten
Seite. Die zartere, empfindsamere Malerei der Anita
Ree, obgleich mit zwei Bildnissen und einer Land-
schaft nicht sehr glücklich vertreten, verdient des-
wegen Beachtung, weil die begabte Künstlerin bisher
noch niemals mit ihren Werken öffentlich hervortrat,
obgleich sie weit über den Kreis ihrer Fachgenossen
hinaus ihrer Kunst Freunde geworben hat und zu
den starken Hoffnungen der jungen Hamburger
Generation gehört.

Fragt man nach den bleibenden Resultaten dieser
Ausstellung, so wird sich der Frauenbund zunächst
eine starke Anregung in expressionistischer Richtung
für die Hamburgische Sammeltätigkeit erhoffen. Diese
Vorführung der Jüngsten aber wird nicht nur von
lokaler Bedeutung bleiben. Nach dem Krieg wird es
eine der wichtigsten Kulturaufgaben sein, eine große
Gesamtschau über die stärksten deutschen Talente der
Gegenwart zu veranstalten, und jede lokale Sonder-
unternehmung kann heute schon durch Vorführung
und Sichtung des Materials als wirksame Vorarbeit
dafür betrachtet werden. Endlich noch eins. Für
diese Ausstellung öffnet zum letztenmal die alte
Kunsthalle Lichtwarks ihre Tore. Den Winter über
bleibt sie zum Zwecke grundlegender Neuordnung
geschlossen; im Frühjahr werden ihre Schätze, zum
erstenmal in voller Entfaltung, im anschließenden
Neubau zugänglich gemacht werden können. Am
Endpunkt einer abgeschlossenen Periode steht als
Zukunftshoffnung das mutige Bekenntnis zu den
stärksten treibenden Kräften der Gegenwart. Der
Wunsch wird lebendig, der innere Ausbau auch der
staatlichen Sammlung möge erfolgen im gleichen Geist,
der diese Ausstellung erstehen ließ. Man wird sich
bewußt bleiben müssen, daß gerade dafür die Ein-
sicht der Museumsleitung allein nicht genügt, die nur
gesicherte Werte zu kaufen verpflichtet ist und daher
temperamentvolle Beweglichkeit schwerer verantworten
kann als der ungebundene private Sammler. Be-
geisterungsfähige Mitarbeit weitschauender Kunst-
freunde muß ihr helfend zur Seite treten. Der
Frauenbund hat den Anfang gemacht und der
Hamburger Kunsthalle ein schönes Blumenstilleben
von Schmidt-Rottluff gestiftet, das hoffentlich bald
schon die notwendigen gleichgestimmten Nachbar-
stücke finden wird. CARL GEORG HEISE.

PERSONALIEN

Professor Dr. Ernst Bassermann-Jordan ist vom

bayrischen König in den erblichen Adelstand erhoben
worden. Bassermann ist ein Gelehrter von vielen Graden;
eben erst zeigt er durch seine Einleitung zu Helbings
Uhren-Katalog den Kennern von neuem seine autoritative
Beherrschung dieses Sondergebietes seiner Studien.
 
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