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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — 3.1887

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Graul, Richard: Kunstgewerbliche Streifzüge, [4,3]:  Bemerkungen über Möbel des 17. und 18. Jahrhunderts
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https://doi.org/10.11588/diglit.4106#0126
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Aunstgewerbeblatt. 2. Jahrgang.

Nr. 6.

AufnäliarLeit auf rotem Sammct in farLiger Selde uud Schnur. Spanien, 16. Jahrh.

Kunstgewerbliche Streifzüge.

vo» Nichard Graul.

Mit Illustratiouen.

IV. Bemerkungen über Möbel des und s8. ^ahrhunderts.
3. RLgencc- und frühe Louis XV.-Möbel.

Die Boullearbeiten, welchen unsere vor-
Ulaligen Bemerkungen galten, waren charakte-
ristische Beispiele des reinen Louis XIV.-Stiles,
wie er um die Wende des siebzehnten Jahr-
hunderts im Luxnsmobiliar vorherrschte. Die
Postamente und Kastenmöbel aller Art — um
diese handelte es sich zunächst — erschiencn
onhitektonischen Gesetzen streng uuterworfen. Jn
ihrem Aufban monumental gedacht, mit klarer
^etonung energischer Gliederungen, der reiche
Schmuck metallener Einlagen im wirksamen
^ontrast mit kräftigem Beschlagwerk die Flächen
uud Formen zierend, so reihten sie sich in not-
loendiger Unterordnung der dekorativen Pracht
brunkeuder Palasträume ein. Jm cinzelnen be-
ll'achtet wahre Denkmale künstlerischen Feinsinnes,
in ihrer Erscheinung aber von steifer Vornehm-
heit, kommen sie zu ihrer rechten Wirkung doch
kost im Rahmen einer Dekorationsfülle, lvie sie
kin Lebrun der Galerie d'Apollon im Louvre zu
goben wußte: die Boullemöbel, die wir letzthin
detrachteten, sind an den Ort gebundene Parade-
stücke, pltzoss ä'apxarat, nicht eigentlich mobil
und ohne Rücksicht auf die Bedürfnisse eiuer mehr
ond mehr dem Zwange höfischer Repräsentation
eutwachsenden Gesellschaft. Diese vor allem Be-
llvemlichkeit heischende Wandlung in der Sinnes-
und Lebensweise der vornehmen Gesellschaft
stwd noch zn Lebzeiten Ludwigs XIV. statt, so
oß die freiere Stilbewegung des Mobiliars
Zum Rococo hin sich bereits in der Zeit vor
Minderjährigkeit Ludwigs XV. regte.

Auch Charles-Andrä Boulle auf der Höhe
stiner künstlerischen Thätigkeit mußte sich zu
KrmstgewerLeblatt. m.

Konzessionen an den neuen Geschmack verstehen;
auch er, der Konservative, wurde im Mobiliar
zum widerwilligen Vorboten der dem Rococo
zudrängenden Strömungen. Jmmerhin, der
Ruhm bleibt ihm ungeschmälert, daß er der
letzte und einzige große Ebenist gewesen, welcher
auf Grund einer entschieden architektonischen
Gesetzen folgenden Konstruktion einen durchaus
originellen Typus der Möbeldekoration ge-
schaffen hat. Nicht wieder in der Geschichte
des modernen Mobiliars — und wo es sich
um originaleu Stil handelt, muß abgesehen
werden von der altertümelnden Rezeptirkunst
unseres Jahrhunderts — nicht wieder begegnen
wir einer solchen Monumentalität im Mobiliar,
einer so durchaus architektonischen Gesetzmäßig-
keit im Konstruktiven. Jn diesem Sinne be-
trachtet, erscheinen Bonlle's reine Louis XIV.-
Arbeiten als die Ausläuser einer Jahrhunderte
alten Entwickelung. Glied für Glied reihen sie
sich an, so weit wir zurückblicken, an die Möbel
der Renaissance und weiter zurück, an die der
Gotik selbst. Der offene Bruch mit der Tradition
wird erst nach Bonlle vollkommen, dann erst von
prinzipieller Bedeutung für alle weitere Fort-
bildung in der Möbeltischlerei. Mag immerhin
hier und da auch in der Folgezeit der Ver-
such gemacht werden, der alten Leiterin Archi-
tektur von neuem zu folgen: wahrhaft trieb-
kräftige Möbeltypen sind aus dieser Verbindung
nicht wieder zu Tage gekommen. Die reizenden
Bildungen des Louis XVI. selbst, so antikisch-
architektonisch sie sich geberden, das Beste ihres
individuell künstlerischen und stilistischen Wertes

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