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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 18.1906-1907

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Raspe, Th.: Eine neue Farbennote im Hamburger Strassenbild
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https://doi.org/10.11588/diglit.4869#0137

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DETAIL DES GESCHÄFTSHAUSES R. O. REUBERT, NEUER WALL
ARCHITEKTEN: GEORGE RADEL & FREJTAG & WURZBACH

EINE NEUE FARBENNOTE IM HAMBURGER STRASSENBILD

Von Th. Raspe

SEITDEM die Erfahrungen des 19. Jahrhunderts der
übertriebenen Wertschätzung des Stils ein Ende
gemacht haben, ist man auf dem Wege von
nationaler zu lokaler Bauweise fortgeschritten zu stär-
kerer Individualisierung des Gebäudes, das seiner
Lage und Bestimmung entsprechend, vom Grundriß
aus entwickelt wird. Für den Oeschäftsbau mußte
die richtige Anwendung dieser Grundsätze einer
völligen Befreiung vom Banne des dekorierten Etagen-
hauses gleichkommen. Diese bahnbrechende Tat ge-
lang Alfred Messel mit dem Bau des Warenhauses
Wertheim, das als künstlerisch veredelter Zweckbau
die Gegenwartskultur in vollendeter Weise verkörpert.

In einer Zeit, wo die Baukunst zu neuem Leben
erwacht, konnte diese Frucht einer langsam gereiften,
ernsten Arbeit nicht allein durch ihr schlichtes, vor-
nehmes Äußere Schule machen; tiefer wirkten die
Grundgedanken, die Messel beherrschten, auf die
Architektenwelt und regten zu geistesverwandten, selb-
ständigen Schöpfungen an.

Unter den neueren Kauf- und Kontorhäusern
Hamburgs darf eine Gruppe von stark ausgeprägtem
Charakter am ehesten den Anspruch erheben, die
Errungenschaften Messeis eigenartig verwertet und
bemerkenswert bereichert zu haben. Das Problem
der Wiederbelebung der Farbe, das wie die Bildhauer
auch die Architekten beschäftigte, fand in ihr eine
glückliche, vorbildliche Lösung. Was das Mittelalter
in Süddeutschland durch Monumentalfresken, in den
Gegenden des Backsteinbaus durch den Farbenwechsel
der Ziegelschichten versucht hatte, wurde durch die
Architekten Frejtag und Wurzbach in modernem Sinne
fortgesetzt, indem sie Steine und Terrakotten mit
Kuns/glasur fgres flammis) als Material wählten.

Kunstgewerbcblaü. N. F. XVIII. H. 7

Den Anstoß dazu gab im Jahre 7902 der Auftrag
des Apothekers Otto Reubert (Abb. 1), dessen hervor-
ragend gelegenes Grundstück den Wunsch nach Ver-
einigung neuer Formen mit neuen Farben wachrief.
Wenn auch die vielseitige Rücksichtnahme auf Straßen-
bild, klimatische Verhältnisse und Auftragsinhalt und
die Ungewißheit, ob sich die Kunstglasuren überhaupt
bewähren würden, an dem Bau die Spuren des Erst-
lingsversuchs zurückgelassen haben, so gewinnt er
dafür als kühnes Unternehmen an historischem Inter-
esse, ähnlich wie der älteste Teil des Wertheimhauses
gegenüber den Erweiterungsbauten. Die blaugrüne
Glasur, das Ergebnis vieler Erwägungen und Ver-
suche, bringt einen sympathischen, freundlichen Ton
in den einförmig grauen Straßenzug, vermag aber
nicht den Zwiespalt innerhalb des Gebäudes selbst
zu beseitigen. Nur mit Mühe kann das Auge das
Emporwachsen vom Straßensockel aus verfolgen, die
Wurzeln sind zu schwach, und die Hauptpfeiler
nehmen gegen die Natur mit der Höhe an Kraft zu,
wozu auch die Verdunkelung der Glasurfarbe im
Untergeschoß ihr Teil beiträgt. Der Eindruck der
Haltlosigkeit wird durch die schwere Bogenbekrönung
und durch die verstärkenden Zwischenpfeiler in den
oberen Stockwerken erhöht, doppelt gefährlich, weil
zwei Straßenreihen in diesem Eckgebäude zusammen-
laufen und in seiner Festigkeit Ruhe suchen. Dieser
Konflikt, der sich aus dem Verlangen nach großen
Schaufenstern ergab, hat das Interesse der Architekten
nur noch mehr auf die Gliederung und Ausstattung
der oberen Geschosse gelenkt. In ihnen allein konnte
der Baugedanke ungehindert zur Anwendung kommen
und die Phantasie sich frei betätigen. Das Leitmotiv
bilden schlicht profilierte Pfeiler, deren geschlossen

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