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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 19.1908

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Kunstgewerbliche Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.4882#0246

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KUNSTGEWERBLICHE RUNDSCHAU

SOZIALER FORTSCHRITT

Die Gartenstadt Hellerau. In der Nähe von Dresden
ist eine Gründung vollzogen worden, die in vielen Be-
ziehungen größtes Interesse erwecken muß. Die »Garten-
stadt Hellerau G. m. b. H.« hat sich einen schön gelegenen,
zum Teil bewaldeten Landkomplex von 140 ha gesichert
und beabsichtigt, dort eine Musterniederlassung zu gründen.
Der Plan geht von den bekannten »Deutschen Werkstätten
für Handwerkskunst* in Dresden aus, die ihren notwendig
gewordenen Fabrikneubau zur Errichtung einer gartenmäßig
angelegten Wohnkolonie mit gemeinnützigen Endzielen, er-
weitern will. Daß die Gründung also nicht auf rein idealer
Basis erfolgt, ist sehr gut, denn das wäre ein Boden, der
schon manche getäuscht und in Unfrieden und Verluste
gebracht hat. Hier ist der Idealismus des echten Geschäfts-
sinnes maßgebend geworden. Das Unternehmen ist in
zwei Teile geteilt, in die erwähnte Gartenstadtgesellschaft
und in eine eingetragene Baugenossenschaft mit beschränkter
Haftpflicht. Die erste Gesellschaft besorgt den Erwerb,
die Verwaltung und die Veräußerung von Grundstücken
unter Bedingungen, welche die etwaige Wertsteigerung
des Bodens möglichst der gesamten Bewohnerschaft von
Hellerau und nicht dem Einzelnen zugute kommen lassen.
Aller Gewinn über 4% muß für die Gesamtheit Verwendung
finden. Sie überläßt den Baugrund an die Mitglieder der
Baugenossenschaft im sogenannten Erbbaurecht (das heißt
Grund und Boden bleiben ihr Eigentum) und verhindert
damit die völlige Freigabe des Bodens, gewährleistet Ord-
nung und Sauberkeit und unterstellt, last not least, die
gesamte Bautätigkeit der Bau- und Kunstkommission. Dieser
untersteht auch der geplante Fabrikbau, der aber nicht im
Erbbaurecht, sondern auf bedingungslos erworbenem Grunde
errichtet wird. Jedoch hat im Fall der Veräußerung zu
Zwecken der Wohnungsspekulation die Hellerau-Oesellschaft
das Rückkaufs-Vorrecht. Die Baugenossenschaft erhebt von
den Mitgliedern 200 Mark in Raten und baut zum größten
Teil mit den zu solchen Zwecken verfügbaren öffentlichen
Geldern der Landesversicherungsanstalten. Mitglieder
werden Privatleute, Bürger und Handwerker und die
Arbeiter der Werkstätten sein.

Wer sich ansiedeln will, sucht sich ein Grundstück
aus, auf dem ihm die Gesellschaft ein Haus nach seinen
Wünschen erbaut oder abändert. Er gibt der Gesellschaft
zum Bau einen Teil des Baugeldes, das auf das Haus
hypothekarisch eingetragen und verzinst wird. So lange
der Mieter das Haus bewohnt, bleibt diese Hypothek un-
kündbar stehen und wird fünf Jahre nach etwaigem Fort-
zug zurückgezahlt. Dem Mieter, der tatsächlich die Rechte
eines Hausbesitzers genießt, ohne dessen Sorgen zu über-
nehmen, kann nicht gekündigt werden, doch darf er selbst
kündigen.

Die Wohltat dieser Gründung, die in manchen anderen
Rücksichten ein gemeindlich-ästhetisches Zusammenhalten
der Bewohner ergeben soll und kann, kommt wohl in erster
Linie den Arbeitern der »Deutschen Werkstätten für Hand-
werkskunst« zugute. Eine Verquickung von Mietkontrakten
und Arbeitsverhältnis ist grundsätzlich ausgeschlossen, weil
sie von vornherein ungesunde Verhältnisse schaffen und
die freie Entfaltung des Gemeinwesens im Keime ersticken
würde. Hellerau soll eine Siedelung/raVf Menschen werden.
»Nur aus diesem Stück Heimatsgefühl in Berufsarbeit und
im eigenen Heim kann rechter Gemeinsinn und staats-
bürgerliches Pflichtbewußtsein erwachsen.«

Kunstgeworbeblatt. N. F. XIX. H. 12

Die Bebauungpsläne und der Fabrikbau sind von
Richard Riemerschmied, der zweifellos auch in der Bau-
kommission einen größeren Einfluß haben wird, entworfen
worden. Nach allem, was man von der disziplinierten
und sachlichen Schöpferkraft dieses Künstlers schon ge-
sehen hat, darf man überzeugt sein, daß er zur künstlerischen
Gestaltung und Durchführung der Hellerau-Gründung
durchaus der richtige Mann ist. — Wie wir bereits ge-
meldet haben, bringt der sächsische Landtag dem Unter-
nehmen großes Interesse entgegen und hat bereits den Bau
einer elektrischen Bahn von Dresden nach Hellerau ge-
nehmigt.

Im Verlag von Eugen Diederichs in Jena ist eine
Broschüre von Dr. Wolf Dohrn über die »Gartenstadt
Hellerau« erschienen, die über viele Einzelheiten Aufschluß
gibt und mit Plänen und Abbildungen hübsch ausgestattet ist.

ERÖFFNETE AUSSTELLUNGEN

Faenza. Hier findet im August und im September
eine internationale Ausstellung von Töpfereien statt, für
die 60 Prozent Frachtermäßigung und Zollerleichterungen
bewilligt wurden. Die ältesten Fayencen stammen bekannt-
lich aus Faenza und erhielten von dieser Stadt ihren Namen.
Weimar. In dem hiesigen Museum findet eine Aus-
stellung englischer Buchkunst statt, die erste in Deutsch-
land. Sie wird zwei Monate später in Berlin zu sehen sein.
Brüssel. Vom August bis 1. November findet im
Palais du Cinquantenaire die fünfte Kunst- und Gewerbeaus-
stellung statt. Die Ständige Ausstellungskommission für die
deutsche Industrie warnt öffentlich vor der Beteiligung!

Düsseldorf. In den besonders schönen, von Licht
durchfluteten Räumen des Kunstgewerbemuseums hatte
Direktor Frauberger eine Ausstellung von Jüdischen Bauten
und Kultusgegenständen für Synagoge und Haus in Origi-
nalen und Abbildungen veranstaltet, die in dieser Form
wohl kaum wieder zustande kommen wird. Obwohl sie
in kurzer Zeit und mit geringen Mitteln zusammengeschafft
worden ist, gibt sie doch Künstlern und Gelehrten Ein-
blick in das religiöse Leben, soweit es sich gegenständ-
lich zeigen läßt. Die jüdische Ausstellung hätte noch be-
deutend glänzender sein können, wenn die Schatzkammern
der Synagogen und die kostbaren Gegenstände im Privat-
besitz reicher Juden als Leihgaben herangeholt worden
wären. Diesen wertvollen Silberschmuck, die seltenen Bronzen,
die kostbaren Stickereien und die wunderbaren Handschriften
hat sich Direktor Frauberger aber für eine spätere Aus-
stellung aufgespart und hat eigentlich nur den Besitz der
»Gesellschaft zur Erforschung jüdischer Kunstdenkmäler«
gezeigt. Ein durch seine historischen und beschreibenden
Angaben ganz besonders interessanter Katalog, dem auch
charakteristische Abbildungen beigefügt wurden, ist er-
schienen.

Düsseldorf. Im Kunstgewerbemuseum wurde Mitte
August in sämtlichen Erdgeschoßräumen eine Ausstellung
von Vorbildern für den römisch-katholischen Kultus, soweit
sich Zeichnungen, Stiche und Originale davon im Museums-
besitz vorfinden, veranstaltet. — An diese Ausstellung
wird sich im Oktober eine Vorführung von Kunstwerken
des neuen Direktors der hiesigen Kunstgewerbeschule des
Professors Wilhelm Kreis anschließen.

Magdeburg. Im Kaiser-Friedrich-Museum wurden
drei moderne Zimmer von dem Architekten Paul Dobert,
einem Lehrer der Kunstgewerbeschule, ausgestellt.

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