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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 24.1913

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Heiniz, Oskar: Gebrauchszinn und Steingut: Ausstellung im kgl. Landesgewerbemuseum in Stuttgart
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https://doi.org/10.11588/diglit.4432#0029

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22

GEBRAUCHSZINN UND STEINGUT

besprechenden Ausstellung nahm auch den letzten
Zweifel überden Zweck der Ausstellung: die Erziehung
zur Ästhetik der kunstgewerblichen Formen. Der Autor
wies an Hand von historischen Beispielen nach, daß
die Tendenz einer Reihe moderner Kunstgewerbler,
nur die nackte konstruktive Form gelten zu lassen
und als Schönheitsideal aufzustellen, noch nicht das
Ende der neueren Kunstentwickelung bedeuten könne.
Ist ja selbst der primitive Mensch aus der prähistorischen
Zeit stets bestrebt gewesen, seine Gefäße mit Symbolen
zu schmücken, die meist in einfachen geometrischen
Mustern bestanden. Jener entgegengesetzte Drang
der zuvor erwähnten Kunstgewerbler ist psychologisch
leicht zu erklären. Die naive Freude an der Ent-
deckung, welche als Grundmotiv die Zweckmäßigkeit
der Form wiedergefunden hafte, erhob diese zu ihrem
Ideal. Dem Bestreben, überall ganz neue Formen zu
bilden, setzte Pazaurek die Erkenntnis entgegen, daß
nur neue Bedürfnisse neue Formen zeitigen können,
n Weshalb nun gerade Gebrauchszinn und Steingut
für den Zweck der Ausstellung gewählt wurden, soll
hier kurz begründet werden. Unsere Ausstellung be-
handelte die Frage der Quantität des Schmuckes und
der vernunftmäßigen Fonnengebung mit besonderer
Berücksichtigung der Bedürfnisse des Alltags. Für
diese Betrachtungsweise eignet sich keine kunstge-
werbliche Gruppe besser als die erwähnten Stoffe.
Sie waren im Bürgerhaus von der Renaissance an bis
zum Biedermeier unentbehrlich geworden und fanden
die ausgedehnteste Anwendung. Historisch betrachtet
herrschte Zinn von der Renaissance bis zum Empire;
vom Empire an trat jedoch das Steingut an die erste
Stelle und führte die Aufgabe der Zinngeräte im
bürgerlichen Haushalt mit Glück weiter. □
□ Für die Ausstellung bezeichnend ist, daß nur hi-
storische Formen zur Ausstellung gelangt sind. Mag
das nun von der Einsicht geleitet worden sein, daß
bei dem historischen Stil schon durch die Auslese
der Zeit nur gute Arbeiten uns überliefert worden
sind — in der Hauptsache wenigstens —, oder daß
sie schon durch die vorher erwähnte Stilentwicke-
lung ein geeigneteres Objekt zur Anschauung dar-
stellen, so betont der Aussteller doch, daß keinerlei
historische oder lokale Gesichtspunkte spezieller Art
ihn geleitet haben, sonderlich lediglich die Rücksicht
auf Material- und Zweckbedingungen, soweit sie ästhe-
tischen Einfluß besitzen. Der Handwerker besaß
früher in hohem Grad eine gründliche Kenntnis von
der Beschaffenheit des Stoffes, den er zu bearbeiten
hatte. Die Grundgesetze der Formengebung waren
sehr einfache und einleuchtende, und da eine natur-
gemäße Fortentwickelung stattgefunden hat, so konnte
sich die einmal gefundene Zwecksform weiter und
weiter entwickeln, bedingt durch die Tradition innerhalb
der Zünfte, die ihre Finessen und Handwerkskniffe
ängstlich hüteten und in sich vererbten. Andererseits
fehlte jegliche Individualitätssucht, die besonders in
unserer Zeit zutage tritt. Ferner war eben immer
persönliche Fühlung zwischen Auftraggeber und Hand-
werker vorhanden, die Unzweckmäßiges im Keim
ersticken ließ. □

□ Wie gut Stilformen lehren können, ersieht man
sogleich, wenn man die einzelnen Stücke verschiedener
Perioden betrachtet. Die rustikal anmutenden Schraub-
flaschen des 17. und 18. Jahrhunderts sind ihrem
Zweck entsprechend ganz einfach behandelt, verzichten
aber doch nicht auf Schmuck (Abb. 2). Schenkkannen
von anmutig einfacher Form bis zu reichen Glanz-
stücken größten Formats geben uns eine Vorstellung
von der Mannigfaltigkeit und der Bewegungsfreiheit
innerhalb der gegebenen Formen. Ein Glanzstück
dieser Art ist die Kanne der lutherischen Nagelschmiede
zu Preßburg (Abb. 1), deren prunkvolle Ornamentik
den Gebrauchszweck in keiner Weise beeinträchtigt.
Kann sich das Bedürfnis nach Schmuck nicht Genüge
tun und ist er plastisch nicht mehr anzubringen,
ohne die Gebrauchsfähigkeit zu beeinträchtigen, so
tritt eine außerordentlich feine Gravierung an seine
Stelle. Eine vornehme Auffassung weist die Kanne
aus dem 17. Jahrhundert (Abb. 3) mit dem daneben
gestellten Teller auf, ein schönes Beispiel der Gravier-
technik mit den getriebenen Buckeln und der außer-
ordentlich feinen Behandlung der Oberfläche. Der
Ausdruck der Schwere und Gediegenheit kommt in
allen diesen Zinnarbeiten sehr gut zum Ausdruck.
Interessant ist es, wie das üppige Barock und das auf-
lösende Rokoko verfährt. Ein reizvolles Beispiel bieten
die Rokokoservices, wie man im Geist der Zeit bestrebt
war, die Form in Fluß zu bringen; es geschah durch ge-
drehte Rippen, die das ganze Werkstück umschließen.
Ein ganzer Kasten voll dieser Formen ist überaus
hübsch anzusehen und immer ist der Gebrauchszweck
noch vollständig vorhanden und ersichtlich. □
□ Dem im Empire dominierenden Steingut haftet ein
viel heiterer Ausdruck schon dadurch an, daß es im
Gegensatz zu dem ernsteren Charakter des Zinns die
Farbe mitsprechen läßt. Die dem Steingut vorange-
gangenen Fayencen waren zum Teil dürftige Surro-
gate für das damals teure Porzellan. Ein solcher
Übergang von einem Stoff zum andern birgt gerne
Gefahren in sich, so auch hier, als nämlich anfangs
eine Imitation versucht wurde. Die Empire- und
Biedermeierarbeiten waren oft sehr konstruktiv. Unserem
mehr auf die Dekoration gerichteten Sinn gefallen
die malerisch verwerteten Blumenmotive nicht so sehr.
Die bahnbrechenden Wedgwooderzeugnisse dagegen
haben etwas sehr Vornehmes und Zurückhaltendes
an sich in ihrer sachlichen Nüchternheit, die wohl
dem englischen Charakter entsprechen mag. Relief-
pressung und Durchbruch weiterhin waren stark ver-
breitete Techniken (Abb. 4). Nach kurzer Zeit tritt
hier eine rasche Dekadenz auf infolge des billig ge-
wordenen Porzellans. Gegen die Mitte der fünfziger
Jahre des vorigen Jahrhunderts wurde das Porzellan
vielfach kopiert durch eine möglichst bläuliche Glasur
und durch ein oft angewandtes Umdruckverfahren.
Kupferlüster- und Platinglasuren gaben dem Steinzeug
den Anschein, als ob man es mit einem Metallobjekt
zu tun hätte. Über die Mitte des 19. Jahrhunderts
sinkt nun die Bedeutung des Steinguts vollends und
das Porzellan tritt nun im Durchschnittshaushalt an
die Stelle des Steinguts. n
 
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