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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 24.1913

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Matthies, Karl: Lehmann-Steglitz
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https://doi.org/10.11588/diglit.4432#0075

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LEHMANN-STEGLITZ
Von Karl Matthtes

LEHMANN-Steglitz — was will das sagen? Ein
Mann? Eine Firma? Ein Unternehmen? Ja,
wie soll man es nennen! Man sieht dieses
Signum auf künstlerischen Plakaten, man sieht es auf
illustrierten Anzeigen in Zeitschriften — und ver-
mutet dahinter wahrscheinlich einen Künstler namens
Lehmann. Das stimmt. Nur ist dieser Lehmann nicht
immer derselbe, denn mit der kurzen, und in des
Wortes vollster Bedeutung auch »bündigen« Unter-
schrift zeichnen die Künstler Martin und Walter Leh-
mann in Steglitz. Da es unter ihnen weder einen
älteren noch jüngeren, einen großen oder kleinen
Bruder gibt, so ist die Eintracht eine vollkommene,
denn keiner kann aus Alter oder Größe ein Vorrecht
für sich in Anspruch nehmen. Sie sind Zwillinge
und sehen sich zum verwechseln ähnlich. Zwillings-
brüder, die Maler werden, gemeinschaftlich bei einem
Lehrer studieren, über die Studienzeit hinaus treu
Zusammenhalten und schließlich ihren persönlichen
künstlerischen Ehrgeiz der brüderlichen Gemeinschaft
in einer Formel unterordnen —: man wäre geneigt,
an eine gefühlvolle Geschichte zu denken. Und doch
hat hier weniger das Gefühl, als wirtschaftliche Not-
wendigkeit den schönen Bund besiegelt. Was Beamten,
Kaufleuten und Handwerkern längst Vorteile bringt,näm-
lich der Zusammenschluß zu Arbeits- oder Verbrauchs-
genossenschaften, will bei Künstlern immer uoch selten
gelingen. Bei Kunstgewerblern aber, die imGeschäftsleben
stehen, wirbt der Genossenschaftsgedanke mit Erfolg,
o Die Brüder Martin und Walter Lehmann sind
Schüler von Professor Max Koch, der an der Unter-
richtsanstalt des Berliner Kunstgewerbemuseums wirkt.
Sie sind Dekorationsmaler und kamen in die Plakat-
und Reklamekunst durch ein Preisausschreiben der
Großen Berliner Kunstausstellung 1905 hinein. Ihr
erstes Plakat, der schwarze Bär mit weißer Putte und
roter Rosengirlande auf goldenem Grund, brachte
ihnen gleich den erhofften Erfolg: es erhielt den
ersten Preis und wurde ausgeführt. o
□ Wie so oft im Leben der Erfolg entscheidet, so
geschah es auch hier: die beiden Lehmänner blieben
beisammen und einigten sich auf das gemeinsame
Signum Lehmann-Steglitz. Durch diese Eintracht sind
sie in der Lage, den vielseitigen Anforderungen der
Gebrauchsgraphik zu genügen. Nicht etwa, daß einer
von ihnen die Figuren zeichnete und der andere die
Schrift — nein, jeder arbeitet selbständig. Sie ver-
teilen die Aufgaben so, wie sie jedem am besten
liegen, sie korrigieren sich ehrlich und da weder ge-
schäftliche noch künstlerische Mißgunst ein Urteil
trüben könnte, so bleibt der Gewinn immer dem
Werke. Martin Lehmann bevorzugt Schrift, Ornament,
Architektur, Walter Lehmann figürliche Motive, beide
sind in ihrem Können aber nicht begrenzt. Wir sehen
auch hier die Vorteile gewisser Sonderbegabungen,
zugleich aber auch den Wert gegenseitiger Ergänzung.
□ Man muß das wechselnde Bild der Plakatsäulen
oder -Tafeln, man muß den Anzeigenteil der Zeitungen
und Zeitschriften studieren, um die Bedeutung eines
Reklamekünstlers verstehen zu lernen. Wie oft wird
bei Künstlern ein erfolgreiches Plakat zur Formel für

folgende Arbeiten oder zum Klischee für das große
Heer gewissenloser Nachahmer. Es ist ein Kenn-
zeichen für den künstlerischen Ehrgeiz der Brüder
Lehmann, daß sie weit davon entfernt sind, sich ihre
Aufgabe so leicht wie möglich zu machen. Sie
wollen den Wünschen der Besteller gerecht werden,
gewiß, aber sie sind auch darauf bedacht, den Wert
ihrer Arbeiten über die Tagesbestimmung hinaus zu
erhöhen, auch da noch, wo sie gezwungen werden,
ein Entgegenkommen an den Geschmack Dritter zu
zeigen. Sie sind also nicht in erster Linie nur Ge-
schäftsmänner und nebenbei Künstler, sondern sie
wissen, was sie ihrem Stande schuldig sind. Dem
Bestreben, für jede neue Arbeit eine andre Wirkung,
eine eigenartige Lösung zu finden, verdanken sie ihre
angesehene Stellung und ihre Erfolge als Plakatkünstler.
d Die Ausbildung in der Dekorationsmalerei bot den
Brüdern Lehmann eine gute Unterlage für die Plakat-
kunst, und wie gut sie zeichnen können, zeigen deut-
lich ihre Schwarzweißarbeiten für Anzeigen und Buch-
schmuck. Man begegnet gerade bei Plakaten oft einer
gewissen Mache, die den Mangel eigenen Könnens
verdecken soll. Solche Unaufrichtigkeiten fehlen den
Arbeiten der Brüder Lehmann, die nichts zu ver-
wischen haben. Sie lernten, wie andre Künstler auch
lernen, und stehen wie diese unter dem Einfluß eines
Zeitstils, den schließlich alle geschaffen haben. Ihre
Kunst zeigt eine glückliche Mischung von sachlicher
Strenge und künstlerischer Unbefangenheit, von ehr-
licher Einfachheit und malerischer Eleganz, wie sie
nur ein sicheres Können erreichen kann. In Zeichnung
und Malerei sind sie am stärksten und eigenartigsten,
während die Schrift erst allmählich eine gewisse Kultur
bei ihnen erfuhr. Sie verwenden mit Vorliebe die
übliche Blockschrift oder eine bei uns Mode ge-
wordene Antiqua amerikanischen Ursprungs. Aber
sie zeigen auch hier ihren guten Geschmack, der
immer besser ist als eine üble Eigenart. o
□ Wer sich für die Urheberschaft der einzelnen
Lehmann-Steglitz-Plakate interessiert, dem sei hier mit-
geteilt, daß Martin Lehmann unter anderen die Plakate
Löwen-Brauerei, Brauerei Engelhardt, Danziger Krän-
chen, Reiser, Saharet, Tägliche Rundschau, Allgemeine
Elektrizitäts-Gesellschaft, Beleuchtungskunst und die
Anzeigen Goerz und Tierfreund ausführte. Von
Walter Lehmann stammen die Plakate Borgs Zigaretten,
Gustav Steidel, Pelzkonfektion Kutnewsky, Schulmeister,
Hagenbecks Indien, Apollo-Theater, Eispalast, Linden-
baum, Moulin rouge, Sylvester Schäffer und andere;
er zeichnete die Anzeigen Schuhe Josef Sax und
Seidenstrümpfe Eva Orloff. □
n Die Lehmann-Steglitz-Plakate sind meist in kräftigen
Farben gehalten und zeigen einen gewissen epigram-
matischen Stil. Der Zweck wird auf eine einfache,
wirkungsvolle Art illustriert: knapp, flächig, großzügig.
Schrift und Illustration sind immer in dekorative Zu-
sammenhänge gebracht und gleichwertig behandelt.
Dadurch und die gute Raumverteilung entsteht beim
Beschauer jenes überzeugende Gefühl der Zufrieden-
heit, das Plakate mit besonderer Anziehungskraft er-
regen. ln ihren Theater-, Variete- und Ballhaus-
 
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