Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 24.1913

DOI Artikel:
Kunstgwerbliche Rundschau
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.4432#0144

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
KUNSTGEWERBLICHE RUNDSCHAU

1 Q7
i j /

kenntnis der lebendigen Vielseitigkeit des Stils tat Taine,
als er, von Henri Beyles Ideen ausgehend, das historische
Verständnis in der Kenntnis der kulturellen und natürlichen
Beziehungen des Stils zum Leben fand, und so das Studium
der Kunstgeschichte aus erstarrter Formulierung in neue
Bahnen rettete. Richard Muther, der Vielgeschmähte, brachte
uns die Taineschen Ideen erweitert und persönlich gefärbt
nach Deutschland. □
□ Es ist vielleicht an der Zeit, wieder einmal auf sein
letztes großes Werk: »Die Geschichte der Malerei« (Berlin,
Verlag Neufeld & Henius) hinzuweisen, das zu Unrecht in
Vergessenheit zu geraten scheint. Wenn wir auch heute
die schöne Subjektivität seiner Ideen von unserem zeitge-
mäßen Standpunkt nicht restlos teilen können, so überlegen
wir uns doch, ob wir heute ein neueres historisches Werk
besitzen, das einen Ersatz zu bieten vermöchte? n
□ Richard Muther, obgleich Professor der Kunstgeschichte
in Breslau, wurde einer der Anreger jenes Schriftsteller-
tums, das, aus autodidaktischem Studium seine lebendige
Frische ziehend, hinfort die anregende Ästhetik und Kritik
übernahm und sich im strengen Gegensatz zum professio-
nellen Kunsthistoriker stellte, der sich nun der kunstge-
schichtlichen Kenntnis als einer sachlichen, rein wissen-
schaftlichen Aufgabe zuwandte. n
a Aus dieser Anschauung heraus findet sich wohl das
Buch: Grundriß der Kunstgeschichte von Freiherr Goeler
von Ravensburg und Geh. Reg.-Rat Prof. Dr. Max Schmid-
Aachen (Berlin, Verlag von Carl Duncker 1912). Es nennt
sich ausdrücklich ein Hilfsbuch und ist eine unendlich müh-
selige systematische Ausarbeitung historisch-stilistischer
Merkwürdigkeiten in knappster Form. Diese Aufgabe wird
an mnemotechnischer Eindrucksfälligkeit unterstützt durch
eine peinliche Ausarbeitung in fünf- bis sechsfacher Type.
Ein Buch also, welches jenem berühmten »Geschichts-
ploetz« ähnlich ist, aus dem wir Gymnasiasten unsere
historischen Kenntnisse zu ziehen hatten: unendlich trocken
und unfruchtbar, aber sachlich und für den Studierenden
ein »Hilfsbuch« ... □
□ Welche überragende Höhe lebendiger Kunstanschauung
andererseits jenes freie Kunstschriftstellertum erreicht hat,
das, autodidaktisch studierend, aus der innersten Leidenschaft
bestimmt, sieh mit freien künstlerischen, das heißt schöpfe-
rischen Zielen bewegt, zeigt so recht klar das Werk Karl
Scheff/ers: Die Nationalgalerie (Verlag Bruno Cassirer,
Berlin 1912), das ein kritischer Führer, also kein Katalog,
sein soll. Aus diesem kritischen Führer einer Gemälde-
sammlung wurde unversehens fast eine Kunstgeschichte.
Nicht ganz — da eine Galerie nicht Werke jedes historisch
einigermaßen bedeutsamen Künstlers besitzen kann (ob-
gleich dieses das Ideal wäre) und bei dem gestellten Thema
das Material der Sammlung nicht überschritten werden
durfte. Aber dieser kritische Führer wuchs unter Schefflers
klarem, systematischem Geiste, in poetisch geklärter Sprache,
mit dem Werkzeug eines Wissens, wie es so lebendig nur
das leidenschaftlich-eindringliche autodidaktische Studium
gibt, zu einem Werke, das jeder Kunststudierende und
kunstbegeisterte Laie auch außerhalb der Beziehung zur
Nationalgalerie um seiner selbst willen lesen sollte. □
a Innerhalb seiner vorgefaßten Aufgabe erweist das Buch
eine Kenntnis des Materials der Galerie, die durch das
Sachwissen tief zu der eigentlichen Idee, zum Wesen dieser
Sammlung gedrungen ist, die eine nationale sein will. Und
mit der ihm eigentümlichen Leidenschaft, dem reinen Schiller-
schen Idealismus: zu bessern, sucht Karl Scheffler nun die
Ursachen dieser und jener Lücken zu ergründen. Er deckt
hier auf und weist dort auf Möglichkeiten, die zu verwirk-
lichen Tschudi durch allzu große Widerstände gehindert
war, oder die ein langsameres Tempo im Durchsetzen haben,
Kunstgewerbeblatt. N. F. XXIV. H. 7

als daß es die Arbeitszeit eines Menschenlebens einschließen
könnte. □
□ So verbindet das Buch und leitet über von den selbst-
gestellten Aufgaben und Errungenschaften des einen Direk-
tors zum Nachfolger, daß er das Erbe in seiner Gesamt-
heit antrete! □
□ Es liegt in dem Buch eine Bedeutung aus jener Neuheit,
daß über eine Galerie nicht nur aus den Bureaus der eigenen
Verwaltung publiziert wird, daß einmal Kritik von außen
kommt, und zwar Kritik, die .sich nicht in Feuilletons be-
endet, wie es hin und wieder schon geschehen sein mag,
sondern in einem großen, mühevollen, durchgearbeiteten
Werk sich erklärt. □
n Zum Gelingen, zum Meistern aller Momente zu einer
klaren Synthese bedarf es allerdings eines Könnens, wie es
sich eben in dem kritischen Führer Schefflers ausweist. □
a Die Ausstattung des Buches ist sehr gut. Es wurde
versucht, durch farbigen Aufdruck das kalte Kunstdruck-
papier zu dämpfen. Das etwas unhandliche Format und
das außerordentliche Gewicht des Bandes wird gerecht-
fertigt durch die Fülle sehr guter Illustrationen, und dadurch,
daß das Buch nicht als Katalog, sondern am Schreibtisch
studierend gelesen werden will. — □
□ Dieses Buch Schefflers und etwa Meier-Graefes »Ent-
wicklungsgeschichte der Malerei« sind Höhepunkte im all-
gemeinen Werk des freien Kunstschriftstellertums, wie die
Verfasser seine beiden bedeutendsten und prägnantesten
Köpfe sind. Wo findet sich mit einigen Ausnahmen sonst
auf der Seite der zünftigen Kunsthistoriker ein Werk, das
in seiner schöpferischen Lebendigkeit an diese vollen Werte
heranreichte? — □
□ Unter dem kunsthistorischen jüngsten Nachwuchs be-
ginnt es sich seit einigen Jahren zu regen, als hätte man
von dem lebendigen Kunstschriftstellertum gelernt; die Ein-
sicht, fruchtbarere Ziele der Kunstgeschichtsphilosophie und
der Ästhetik zu ergreifen, verständnisvoll empfangen. □
□ So ein Werk wie die »Elcmentargesetze der bildenden
Kunst« von Hans Cornelius (Berlin u. Leipzig 1908, zweite ver-
mehrte Auflage 1911, Verlag B. G. Teubner) ist wohl zu
begrüßen. Es bemüht sich, durch philosophische Spekulation,
mit überzeugendem Erfolg namentlich auf kunstgewerblichem
Gebiete, das »Erlaubte vom Unerlaubten« zu scheiden, und
unterstützt dieses durch ein sinnfälliges Bildermaterial von
Beispielen und Gegenbeispielen. Das Buch ist gut geeignet,
dem Laien für manches Verständnis zu geben. Gefährlich
allerdings ist die Note des Richtens, auf welche das Buch
abgestimmt wurde. Erlaubt und nicht erlaubt, gut und
böse, das sind Abwägungen, die von Cornelius vielleicht
nur im subalternen Sinne gedacht, vom Laien aber als un-
bedingt bindend erkannt werden könnten, wenn er nicht
die Einsicht besitzt, daß in der Kunst alles erlaubt ist, —
was Kunst, das heißt lebendig ist, die Wertung (nicht Kritik!)
unter diesem Lebendigen nur menschlich-subjektiv sein wird,
keineswegs aber vom Standpunkt einer zeitlosen Ȋsthe-
tischen Moral« gedacht werden kann. q
□ Diese Klippe hat Wilhelm Waetzoldt in seinem Buch
» Einführung in die bildenden Künste« (Ferdinand Hirt £ Sohn,
Leipzig 1912) dadurch in vorbildlicher Weise umgangen,
als er sich die Aufgabe stellte, nicht zu richten, sondern
zu erklären und zu trennen. Als Wissenschaftler systema-
tisierte er diese Aufgabe, soweit es ihm möglich war, und
schuf dadurch ein Werk, das als Einführung und Grund-
lage der bildenden Künste nicht hoch genug einzuschätzen
ist in seiner Klarheit, Sachlichkeit und Vornehmheit. Mit
jener fruchtbaren und lebensvollen Mischung von verstandes-
heller Logik und einfühlender Empfindung, die dem ir-
rationalen Wesen der Kunst allein bis zum Ende nachzu-
spüren vermag, findet er seine zahlreichen Definitionen
21
 
Annotationen