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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 1.1887-1888

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Heft 8
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Bulthaupt, Heinrich: Theatralische Festspiele
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https://doi.org/10.11588/diglit.11723#0095

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s. Stück.

Lrscbcint

Derausgeber:

"" ^jedrn

zferdtiraild Nvenartus.

Kcskellpreis:
Vierteljährlich 21/2 Mark.

qrg. l.

DkLIlraliscke Festspicle.

l eitdein die Gberammeraaner j?assionsspiele,
^insbesondere dnrch Lduard Devrients j?ropa-
'ganda, in deil Nus einer ursprünglichen, ans
^^WVchem gerinanischeil Dolksgeist unmittelbar
hervorgegailgeneil uild an seine künstlerische Dergangen.
heit anknüpsenden Lühnenschöpsung gelangt und mit
einem Niinbus umgeben sind, der bei einer vorurteils-
losen Betrachtung sehr verblaßte, sind nach und nach
bald hier bald dort in Deutschland theatralische Nnter-
nehmungen verwandter Art ausgetaucht, aus denen
man neuerdings bereits j)rosession zu machen beginnt
— Unternehmungen, die wachsam versolgt zu werden
verdienen. Das Gemeinsame dieser Lrscheinungen
besteht darin, daß die dramatische j)hantasie und der
Spieltrieb sich abseits vom Theater einen Tempel er-
bauen oder ein Zelt aufschlagen — abseits vom
Theater, d. h. nicht nur in einem andern Naum als
in unsren Schauspiel- und Gpernhäusern, sondern
auch sern von den Bedingungen und Gesetzen, die
gemeinhin sür die Bühne und ihre Lrzeugnisse gelten.
Nian giebt an diesen sür den besonderen Zweck ge-
gründeten Stätten Dramen, die keine sind, und be-
gegnet jedem Tinwand mit der Trklärung, daß man
das auch nicht wolle; man begeht eben eine Art
Rultus oder erteilt eine Art Unterrichtsstunde in
dramatischer Form, und das religiöse, das historische,
das pädagogische Znteresse oder was sonst muß da
eintreten, wo das Drama als solches versagt. Dabei
zeigt es sich nun ganz deutlich, daß das „volk", ins-
besondere aber Leute, die sonst das Theater kaum
besuchen, diesen Aussührungen eine ungewöhnliche
Teilnahme entgegenbringen und daß eine gelehrte
Rritik von ihnen ost mehr Notiz nimmt, als von der
vollkommensten Aufsührung eines neuen und bedeutenden
Schauspiels oder Musikdramas. <Lin trefflicher Dichter
hat diesen Negungen der „volksbühne" sogar eine

große Zukunft prophezeit und von ihnen eine Lr-
starkung der dramatischen j)roduktion erwartet, die im
Frohn der ordinären Nkächte, die das „Luxustheater",
also unsere ständigen Bühnen, beherrschen, nicht rein
gedeihen könne. U)er anßer an die Gberammergauer
Spiele an das großartige Unternehmen von Baxreuth,
an den „Nkeistertrunk" zu Nothenburg an der Tauber,
an den „Schmied von Nochel", an so manche andre
solcher „theatralischen Festspiele", insbesondere an die
vielen Lutherdramen und -Nchsterien denkt, denen sich
bald eine stattliche Anzahl von ^uttenspielen an die
Leite stellen lassen wird, der weiß, was ich meine,
und übersieht diese neueste künstlerische (oder un-
künstlerische?) Bewegung. Lrblüht uns in ihr ein
Heil oder liegt hier eine, vielleicht schwere, Gefahr
für die Lntwicklung unseres Dramar?

Ls ist bekannt, daß unser deutsches Drama keine
eigentlich nationale Lntwicklung durchgemacht hat,
und seder Kenner der Bühne weiß, was wir Lessing
und mehr noch Schiller sür die Gewinnung einer
sesten dramatischen Architektur verdanken, die zwischen
den Linslüssen der Franzosen und denen Lhakespeares
gleichsam den mittleren Durchschnitt darstellt. Den
germanischen Genius, der zu schwärmen liebt und
eine strenge Zucht verschmäht, senen Genius, der im
„Götz" und in dem barocken „bsosmeister" von tenz
das große britische vorbild tollkühn überbot, gewöhnten
sie an das Linhalten der geraden Linie und an die
sichre, stäte Versolgung eines dramatischen Ziels.
Dabei hüteten sie sich in bewunderungswürdigem Der-
ständnis sür die deutsche Natur weise daoor, das
Linheitengesetz allzu ängstlich zu beobachten, und so-
wohl die „Nlinna" und „Lmilia", wie „Rabale und
tiebe", also die größten Näister geschlossener Aom-
position, die wir besitzen, wagen unbedenklich einen
Grtswechsel und eine Lzenenveränderung sogar



— ss —
 
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