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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 15,1.1901-1902

DOI Heft:
Heft 3 (1. Novemberheft 1901)
DOI Artikel:
Platzhoff, Eduard: Zum Begriff des Genies
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https://doi.org/10.11588/diglit.7613#0116

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2urn kegriff äes Genies.

Zu deu sehr zahlreichen Worten, bci deiien man sich alles deiiken
kanii und eben darum trotz oder wegen ihres häufigeu Gebrauchs gar
nichts zu denken pslegt, gehört der Ausdruck „Genie". Ein genialer
Einfall, eine geniale Laune, ein genialer Gedanke, ein geniales Tempe-
rament: das alles hört und sagt man täglich, ohne damit mehr aus-
drücken zu wollen, als die Unmöglichkeit, etwas Bestimmtes zu bezeichnen.
Erscheint also ein Buch, das sich die Behandlung des Gcniebegriffs
zur Aufgabe macht, so hat es sich schon mit eben diesem Vorhaben ein
Verdienst erworben, mag es auch sonst noch so schlccht sein. Aus dem
gleichen Grunde und mit dem glcichen Vorbehalt hat es auch auf
eine ausführliche Besprechung ein Anrecht, denn gegen die Gedanken-
losigkeit sind alle Waffen gut. Ueber das Türckische Buch „Der geniale
Mensch" haben wir aber auch deshalb einmal eingehender zu rcdcn,
weil es offenbar viel gelesen wird, dcnn es ist (bei Dümmler in Berlin)
schon in der fünften Auflage erschienen. Zudem ist es immerhin auch
nicht ganz ohne Vorzüge, und jedenfalls gibt es zum bessern Verständnis
des Problems Gelegenheit.

Nachahmenswert ist unstreitig dcr Versuch, den Genieüegriff zuglcich
deduktiv und induktiv zu entwickeln, methodisch richtig auch das Verfahren,
cine Analpse desselben dcr Beispielsammlung voranzustellen und mit
einer nochmaligen erweiterten definitiv abzuschließen. Unsere Betrachtung
wird sich also sachgemäß erst dcm begrifflichen Tcile, dann den dcr
Geschichte und Literatur cntiiommcncn Probcn zuwenden.

U

Da sich Schopcnhauer über das Gcnie mit am eingchcndsten und
scharfsinnigsten geüußert hat, ist es nur zu lobcn, wcnn Türck mit ihm
seine Darstellung beginnt. Nach Schopcnhauer stellt das Genie dar
,die vollkommenste Objektivität, das heißi objektive Richtung des Geistes,
entgcgengesetzt der subjektiven, auf dic eigenc Person, das ist dcn Willen
gehenden". Daneben stellt der Verfasser zwci Aussprüche Goethes:
,Was ist Genie anders, als jene produktive Kraft, wodurch Thaten
cntstehen, die vor Gott und dcr Natur sich zeigen können, und die eben
deswegcn Folge habcn und von Dauer sind." Und der anderc: «Das
Erste und Letzte, was vom Genie gefordert wird, ist Wahrheitslicbe".

Tas ist aber auch allcs, was Türcks Buch an einigermaßen klarcn
Definitionen des Geniebegriffcs bringt. Seine cigcne ist nur cine
Verschmelzung der cben ziticrtern, freilich cbcn damit stark veründcrtcn
Formulicrungen. Für Schopcnhaucr war Objektivitüt die künstlerischc
Hingabe an das Eigcnleben des Objekts, seine mvglichst affektlosc
Ersassung und treue Wiedergabe. Auch Gocthe sah in dem Begriff der
Wahrheit und produktiven Kraft zunächst die Attribute des künstlerischen
Schaffens, dann die üsthetisch gewürdigte eigenartige Bethätigung —
theoretischer wie praktischer Art — überhaupt. Das ästhetische Moment
steht bci bciden offenbar im Vordcrgrund, bei Türck ist das nicht der
Fall. Er identifiziert ohne Weitercs Objcktivität mit Liebe auf folgende
Weise: Hingabe an alles Geschaffene ist das Wollen seiner Voll-
kommenheit, der Wunsch, ihm zur grvßtmöglichsten Erhvhung seines Dascins
zu verhelfcn. So kommt Türck zur Unterscheidung eincs drcifachen

Kunstwart

— loo —

U. S. NLI0LI.LLÜL
 
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