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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 15,1.1901-1902

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Heft 3 (1. Novemberheft 1901)
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.7613#0123

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I.ose klatter.

Oer cies ^irilagiles.

Von Maurice Maeterlinck.

V o r b c ine rkung. Jch bitte die Leser, zu der nachfolgenden Dichtung
dcn Bonusschcn Aufsatz ^Mystisches" in diesem Hefte, dann aber auch meinen
eigenen über „Poetisch" (Kw. XIV. >z) lescn zu wollen. Zur cigentlichen „Ge-
meinde" Macterlincks gchöre ich mcinerseits nicht, ich halte seinen Einfluß in
Dcutschland, wie er sich bisher gezeigt hat, auch gar nicht für segens-
rcich. Aber ich glaubc, daß er das werden könnte, wcnn man Maeterlinck
weniger als einen Prophcten und Vollcnder, denn einfach als einen Erweiterer
unsercr Kunstmittel bctrachtcte. Es gibt cine Menge Dinge im Seelenlebcn,
die wir nicht ausdrücken können, ohne uns der Sprache des Traumes zu
bedicnen, vorläufig abcr können dicse Sprache sehr wcnige verstchen, weil sie
Dichtungen, die in ihr gcschrieben sind, nicht auders auffassen, als solche dcs
Wachens, mit andcrn Worten: weil ihnen dic rechte Ein stell ung dcs Geistes
für dicse Sprache des Traumcs fehlt. Diese Einstcllung zu erlcichtern, für sie
zu üben, Ist Maetcrlinck vor allem geeignct, denn er ist ein Techniker der
Traumdichtung in dramatischcr Form, wie kein zweiter. Dahin werden wir
uns wohl alle einigen künnen, auch diejcnigen untcr uns, die den seelischen
Gchalt, den Maeterlinck letztcn Endes vermittelt, nicht so bedeutend und groß
finden können, wie seine leidcnschaftlichen Bewunderer.

Unsere Uebcrsetzung ist der bei Eugen Tiederichs in Leipzig erschicnenen
Maeterlinck- Ausgabe ciitnommen.

t.Akt. Auf dem Gipfcl cincsHügcls, der dasSchloßbeherrscht.

(Zgrainc tritt auf, Tintagiles an der Hand führend.)

Dgraine: Die crste Nacht wird schlecht sein, Tintagiles. Das Mecr
brüllt schon rings umhcr und die Bäume klagen. Es ist spät. Der Mond
ncigt sich dem Untergang cntgegen, dort hinter den Pappeln, die das Schloß
ersticken . . . Nun sind wir allein, vielleicht, obschon man hier sehr auf seiner
Hut scin muß. Es scheint, als würdc hier das Herannahcn des allerklcinsten
Glückes belaucrt. Eines Tages sagtc ich mir ganz im Grunde meiner Scele —
und Gott selbst konnte cs kaum hören — ich habe mir cines Tages gesagt,
daß ich nun glücklich sein würdc . . . Mehr war nicht nötig, und kurze Zeit
danach starb mein alter Vater, und unsre beidcn Brüder verschwanden, ohue daß
ein sterbliches Wescn uns hätte sagen können, wo sie sind. Nun bin ich ganz
allcin mit meiner armcn Schwester, und mit dir, mein kleiner Tintagiles, und
ich habe kein Vcrtraucn auf die Zukunft . . . Komm hicrher, setze dich auf
meinen Schoß. Küsse mich erst und lege deine kleinen Arme da ganz um
meincn Hals . . . Man wird sie vielleicht nicht loslösen können . . . Erinnerst
du dich der Zeit, wo ich dich des Abcnds trug, wenn die Stunde gckommen
war, und du fürchtetcst dich vor dcm Schatten meiner Lampc in dcn langen,
fensterloscn Gängen? — Ich fühlte, daß meine Seele auf meinen Lippcn zitterte,
als ich dich dicsen Morgcn mit eincm Male wicdcrsah . . . Jch glaubte dich
so weit und so geborgcn . . . Wcr ist cs, der dich herkommen ließ?

TintagilcS: Jch weiß nicht, Schwcsterchen.

Vgrainc: Wcißt du nicht mchr, was man gesagt hat?

Tintagiles: Man sagte, ich müßtc fort.

I- Noveiiiberbeft 1901
 
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