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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 15,1.1901-1902

DOI Heft:
Heft 11 (1. Märheft 1902)
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.7613#0577

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I-iterslui'.

Kunäsckau

* ViktorHugos hundertjährigen
Gebnrtstag hat man in Frankreich
Ursache ähnlich zu feiern wie mir einst
den Schillers; dcnn Viktor Hugo ist
der französische Schiller, der große
nationale Pathetiker und Freiheits-
dichter, der aus ganz ähnlichen Grün-
den rvie der unserige zum Liebling
seines Volkes ivurde und fast noch
unmittelbarer in dessen Schicksal ein-
griss. Man kann ihn auch rein ästhetisch
mit Schiller vergleichen und wird
dann etwa finden, daß er als Lgriker
bedeutender als dieser ivar, ihn aber
als Dramatiker nicht erreichte. Der
Richtung nach ivar er bekanntlich das
Haupt der französischen Romantik,
deren ivichtigstcs Programm er ^82?
in der berühmten Vorrede zu seiuem
„Cromwell" gab, und dessen Sieg
durch den stürmischen Erfolg scines
„Hernani" t^Zo entschieden ivurde.
Goethe, der scine Anfänge verfolgte,
nannte ihn ein „schönes", ein un-
streitig „sehr großes" Talent, verurteilte
aber seiuen Noman rdwtre-Uaiiie äs
Ulirisr aufs schärfste als „das ab-
scheulichste Buch, das je geschrieben
ivorden", und schloß dcn Dichter in
jene Charakteristik der sranzösischen
Ultraromantik ein, die leider auch die
Charakteristik eines guten Teils der
gesamtcn Literatur des ncunzehnten
Jahrhundcrts ist: „Die Darstellung
edler Gesinnungen und Thaten fnngt
man an für langweilig zu erklären,
und man versucht sich in Behandlung
von allerlei Verruchtheiten. Au die
Stelle des schönen Jnhalts griechischer
Mythologie treten Teufel, Hexen und
Vampyre, und dic erhabenen Helden
der Vorzeit müssen Gaunern und
Galcerensklaven Platz machcn. Der-
gleichen ist pikant! Das wirktl Nach-
dem aber das Publikum diesc stark
gepfefferte Speise einmal gekostet und
sich daran geivöhnt hat, ivird es nur
immer nach Mehrerem und Stärkerem
llunstwart

begierig. Eiu junges Talent, das
wirken und anerkannt sein will und
nicht groß genug ist, auf cigencm
Wege zu gehen, muß sich dem Ge-
schmack des Tages bequemcn, ja, es
muß seine Vorgänger im Schreck- und
Schauerlichen noch zuüberbieten suchen.
Jn diesem Jagen nach üußercn Effckt-
mitteln aber wird jedes tiefere Studium
und jedes stufenweise Entwickcln der
Talente und Menschen von innen
heraus ganz außer Acht gelassen. Das
ist aber dcr grüßte Schaden, der dcm
Talent begegnen kanu." Nun, Viktor
Hugo war doch groß genug, auf
eigenem Wege zu gehen, und wir
denkcn heutc selbst über seincn „Notre-
Dame"-Roman weit günstigcr als
Goethe: Er ist uns trotz all seiner
Schwächen ein grandioses Gemülde
vom Ende des Mittelalters, jener in
der That von den stärksten Gcgcn-
sützen erfülltcn Zeit, in der ein König
von Frankreich einen Barbier znm
Gohilfen hatte und nebcn wüster Sinu-
lichkcit die fanatische Selbstkastciung
stand.

Der Ruhm Viktor Hugos ruht am
sichersten auf seincr Lprik, in ihr hat
er die beiden Seitcn des franzvsischen
Nationalcharaktors, das große Pathos
nnd das zarte Gefühl, gleichmäßig
zum Ausdruck gcbracht und formal
und sprachlich eine Neuheit und Kühn-
heit entwickelt, wic man sie in dcm
„eleganten" Frcmzösisch kaum für mög-
lich gehaltcn hätte. So ist er auch
auf die deutsche Dichtung von Einfluß
geworden: Unser Freiligrath vor allem,
der von Haus ans ein vcrwandtes
Talent war und ihn übersctzte, ver-
dankt ihm, seinen „Oricntales" u. s. w.,
die exotischen Stoffe und das glänz ende
Kolorit, die charakteristischen Alexan-
driner nnd die originellen Rcime.
Aber auch Gcibcl hat aus Viktor Hugo
Nutzen gczogen, von sciner sanfteren
Lyrik, die in den »§01111188 ä initomns«
 
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