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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 20,2.1907

DOI Heft:
Heft 14 (2. Aprilheft 1907)
DOI Artikel:
Avenarius, Ferdinand: Kopien
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https://doi.org/10.11588/diglit.8626#0080

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Iahrg. 2O Zweites Aprilheft 1907 Hest 14

Kopien

Wer Ausstellungsberichte aus der ersten Hälfte des vorigen
Iahrhunderts liest, der findet unter andern für uns Menschen von
heute erstaunlichen Tatsachen auch diese: man sprach des Langen
und Breiten, Lrwagenden und Ermessenden, Erfreuten und Bedenk--
samen auch über Kopien. Hatte Herr Kurzbein oder Herr Langer-
hals Correggios Heilige Nacht oder gar Rafsaels Sixtina in Sl
nachgemalt, so war das der eingehendern Unterhaltung aller „Kunst-
amateurs^ gewiß. Von diesem Hochstande ist die Teilnahme an
Kopien langsam, aber beständig abgeslaut. Noch als ich Kind war,
entschloß sich auch der wirklich Gebildete zehnmal leichter zum An-
kauf einer Kopie nach irgend etwas „Klassischem", als eines neuen
Originalwerks, wenn etwa das Anerhörte, daß er sich überhaupt
zu einem Bildkauf entschloß, wirklich einmal Lreignis ward. Privat-
sammler, die an Kopien Freude haben, gibt es auch jetzt noch, und
nach meinen Kenntnissen gehören durchaus nicht die schlechtesten dazu.
Aber aus den öffentlichen Sammlungen sind solche Bilder vom Flusse
der Zeit schier weggespült.

Ich möchte heut fragen: ob das in dieser Ausschließlichkeit auch
wirklich mit Recht geschieht.

Gewiß, antwortet mir der Mann der Zeit: sie sind eben keine
Original-Kunstwerke. Ich gebe ohne weiteres zu: Kopien als solche
brauchen nicht Gegenstand öfsentlicher Sammlungen zu sein: Wenn
die Kopie nach einem minder wichtigen Bilde als Kopie noch so
vorzüglich ist, so liegt darin noch kein ausreichrnder Grund, sie aus
Staatsmitteln anzukaufen. Wie aber steht es mit guten Kopien nach
großen Meisterwerken? Sagen wir vorschnell: mit solchen, die den
Originalen bis zum Verwechseln ähnlich sehn? Ist denn nicht klar
wie die Sonne, daß ein Museum solcher Kopien nach den größten
Schöpfungen der größten Meister so reichen Genuß gewähren müßte,
wie gar kein andres Museum der Welt? Gäbe es nicht 1a ersms
äs 1a srsms, eine alleroberste Sahnenschicht im Kunsttopf?

Rnsre Voreiligkeit rächt sich bei dem einfachen Zwischenrufe:
Ia, „wenn!" Denn leider taucht die Frage auf: gibt es denn solche
Kopien überhaupt?

Wenden wir uns nicht an theoretische Erwägungen, wenden
wir uns nicht an die Psychologie des künstlerischen Nachgestaltens,
nein, an die gute alte Frau Erfahrung um Auskunst. Sie ant-
wortet uns etwas auf den ersten Blick recht Äberraschendes für den,
der's etwa noch nicht weiß: einige Zeit nach ihrem Entstehen sieht
der Kenner allen Kopien an, wann ungefähr sie gemacht worden
sind und welcher Schule oder Richtung der Kopist angehörte. Er
sagt dann, der Kenner: aha, hier hat ein Holländer einen Italiener,
oho, hier hat ein Italiener einen Holländer kopiert. Lr sagt: diese
Kopie eines Botticelli hat ein Deutscher aus Overbecks Zeit, diese
andre ein Lngländer um 1.850, diese dritte dort hat ein Pariser vom

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