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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 20,2.1907

DOI Heft:
Heft 20 (2. Juliheft 1907)
DOI Artikel:
Schultze, Ernst: Die Verbreitung guter Literatur, [1]
DOI Artikel:
Riemann, Ludwig: Ästhetik des "Ungenauen" in der Musik
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https://doi.org/10.11588/diglit.8626#0512

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ganz anderein Gebiet lagen, durch diesen erwärmenden Linsluß der
Volksbibliotheken so begeistert worden sind, daß sie einen erheblichen
Teil ihres Lebens der Sache der Volksbildung zu widmen beschlossen.
Der eine war der Berliner Historiker Friedrich von Raumer, der auf
einer Reise durch die Vereinigten Staaten vor sechs Iahrzehnten die
Begründung von Volksbibliotheken und die Veranstaltung populär-
wissenschaftlicher Vorträge in Berlin beschloß, und dem die Gründung
der ersten fünf Berliner Volksbibliotheken fowie die Zuführung eines
nennenswerten Kapitals dafür zu danken ist. Der zweite ist der
Geologe Eduard Reyer, Professor an der Universität Wien, der auf
einer geologischen Forschungsreise durch die Vereinigten Staaten vor
zwei Iahrzehnten deren ausgezeichnete „Public Libraries" kennen
lernte, die turmhoch über unsern verhältnismäßig unentwickelten Volks-
bibliotheken stehen, und der daher voller Enthusiasmus beschloß, die
Volksbibliotheken der Stadt Wien energisch weiter zu entwickeln. Heute
stehen die Volksbibliotheken in Wien, obwohl die Gemeindeverwaltung
nur einen lächerlich kleinen Betrag (wenn ich nicht irre 2000 Kronen
jährlich) dafür hergibt, mit einem Iahreshaushalt von weit über
(00 000 Kronen und einer Iahresentleihung von fast (V2 Millionen
Bänden mit an der Spitze der europäischen Bibliotheksleistungen.

(Schluß folgt) Ernst Schultze

Ästhetik des „Arrgeuauerr" w der MusiL

Der verhältnismäßige Begriff des „Angenauen" erstreckt sich in
der Regel auf die konkreten Anschauungen der Wirklichkeitsformen und
kann darum in allen anderen Künsten leichter bestimmt werden, als in
der Musik. Die Malerei und Plastik z. B. leiten das Angenaue auf
folgende Weise ab: Iedes Kunstwerk ist die Verkörperung eines durch
eine schöne Form ausgedrückten Gedankens. Die Wirklichkeitsformen,
aus denen diese beiden Künste schöpfen, finden in der Natur ihre höchste
Vollkommenheit. Line genaue Nachbildung dieser Vollkommenheit kann
niemals erreicht werden, denn die Wirklichkeit ist der Kunst gegenüber
nicht eindeutig. Wie durch ein Facettauge offenbaren sich uns durch
Licht, Lust und Farbe die verschiedenartigsten Bilder z. B. einer Natur-
landschaft. Der Maler kann deshalb nur eine Auswahl aus dem Ge-
samtnaturbild treffen. Somit umfaßt das Bild stets einen Teil der
Wirklichkeitsformen, bleibt also in diesem Sinne unvollkommen. Der
Maler entnimmt dem Naturvorbilde die ihn anziehenden Hauptwerte
und drängt die Nebenwerte zurück. So will z. B. ein Maler die groß-
artigen Linien einer Gebirgskette darstellen. Dieser Hauptzweck läßt die
Farbenseinheiten, die in der Wirklichkeit die Amrisse verwischen, zurück-
treten. Dadurch werden die Nebenwerte ungenau. Oder der Porträt-
maler fügt dem Kopf zur Hebung prägnanter Formen, Linien tiefen
Schattenschlag bei, der in Wirklichkeit nicht vorhanden ist. Das Un-
genaue wirkt hier insofern ästhetisch, als die Hauptwerte, also die Idee
des Kunstwerkes, die Nebenwerte (z. B. auch Perspektive)* zurück-

* Der Impressionismus treibt die Heraushebung eines Motivs
zuungunsten der Nebenwerte bis zu den letzten Grenzen der erlaubten
Ungenauigkeit.

^ 2. Iuliheft
 
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