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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 20,2.1907

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Heft 20 (2. Juliheft 1907)
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Lose Blätter
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.8626#0532

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Wenn ich sterbe, wandert ihr in der Runde, ihr am längsten Glücklichen!
Und sagt allen Dingen, daß ich gehe.

Meine Seele gewinnt Flügel, und ihr richtet sie ins Freie.

Bliebe auch mein Mund ohne ein Wort an Gott:

Ihr seid die Träger meiner Seele, ihr erhebt sie vor das herrlichste Angesicht.

W Kaiserliche Äußerungen

über Kunst regen wieder einmal
uns Deutsche auf. Auch zu mir
sind wieder Bitten und Ausforde-
rungen in anständiger und un-
anständiger Form, unterzeichnete
und anonhme, gekommen: ich solle
gegen diese kaiserlichen Äußerungen
„auftreten".

Meine verehrten Herren Ein-
sender, ich meine, ich habe meine
Ansicht über die kaiserliche Kunst-
politik (wenn man's so nennen
will) oft und deutlich genug ge-
sagt. Aber es ist immer dieselbe
Geschichte: der Kaiser hat als Kunst-
freund so gut wie jeder Privat-
mann ein Recht, seinen Geschmack
zu haben, und auch das Recht,
das offen auszusprechen, was
er meint. Die Gefahr beginnt erst,
wo wir die Lächerlichkeit begehn,
den Kaiser auch zum Kaiser der
Kunst machen zu wollen. Hätten
wir und hätten unsre Vertreter
in den Parlamenten eine eigne
Meinung gegen die kaiserliche ge-
setzt, so stände jetzt weder das
Begassche Marmor-Theater als
Nationaldenkmal für unsern Ser-
vilismus da, noch blähte sich dieser
sogenannte Dom zwischen zweien
der edelsten deutschen Bauwerke,
denn mit dem Privatgelde des Kai-
sers ist weder Denkmal noch Dom
errichtet worden. And würde in
Kassel das schönste, was es im
Stadtbild hat, verbaut, wenn man
mit voller Entschiedenheit gesagt
hätte: wir wollen's nicht? Ander-
seits zeigt die Bauentwicklung und

die Entwicklung des deutschen Kunst-
gewerbes gerade in Berlin für jeden,
der beobachten will, zur Evidenz,
daß der Privatgeschmack des Kai-
sers je länger, je weniger auf die
Allgemeinheit wirkt, ganz abgesehen
davon, daß sich sein Geschmack we-
nigstens in Bausachen auch ent-
wickelt zu haben scheint. Freilich, in
literarischen Fragen kaum! „Char-
leys Tante" und die Eschstruth
ehren, und dann an Hebbels Witwe
von dem Erfolge ihres Gatten freu-
dig berichten lassen, während neben-
an der gleichfalls kaiserlich belobte
„Hund von Baskerville" bellt —
wie das zusammengeht, mögen andre
verstehen. Hat aber trotz der kaiser-
lichen Auszeichnung auch nur ein
ernsthafter Kritiker im Lande die
ausgezeichneten Sachen für wert-
volle literarische Leistungen erklärt?
Amd bekommt das Wiesbadener
Kurhaus nicht seine Fresken, trotz-
dem der Kaiser nicht von ihnen er-
baut war? Also w o ist die Ge-
fahr? Pflegen wir unsre Litera-
tur und Kunst nach eignem Er-
messen, so braucht es keiner „Ent-
rüstung" und keines „Schmerzes".
Vielleicht ist es gut, daß der Kaiser
über Kunst so denkt und spricht,
wie er's tut: ein in Kunstdingen
wirklich führender Kaiser würd' es
uns Deutschen, wie wir einmal
sind, schwerer machen, uns zur
Selbständigkeit auch des Geschmacks
zu erziehen. And das hielte uns
schädlicher zurück, als ein paar bel-
lende Feuerhunde oder dichtende
Natalien mehr. A

2. Iuliheft V07
 
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