Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Kunstwart und Kulturwart — 26,1.1912

DOI Heft:
Heft 1 (1. Oktoberheft 1912)
DOI Artikel:
Lose Blätter
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.9024#0044

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Lose Blätter

Aus Ernst Lissauers „Strom"

s^Äber die „Impressionisten" der Lyrik, über die Stammler, Rufer
nnd Flüsterer, über die „Laller" unter den „Neutönern" kann sich nur
der ohne Vorbehalt lustig machen, der nicht bedenkt, daß lhrische
Kunst im Gegensatz zur Schönrednerei überhaupt kein logisches Sprechen,
sondern ein Aufträumen von Halbbewußtem aus den Äntergründen der
Seele ist. Deshalb bedeutet es keine Bewertung, sondern nur eine Fest--
stellung: daß der von vielen jetzt sehr gerühmte Ernst Lissauer abseit von
jenen „Neutönern" arbeitet. Lissauer gehört zu den Bildnern mit
Vorstellungen, zu den besonnenen bildschauerischen Gestaltern —
mitunter ist es sogar, als malte er nicht, als mauerte er seine Stücke und
beschlüge dann noch mit meißelnder Hand die Steine. Er ist durchaus
bewußter Künstler. Bei seiner Art bleibt trotz aller verhaltenen Erregung
das Objektive mit einer gewissen Kühlheit klar; in einer besonderen
Weise episiert seine Lyrik sehr oft. Mir wenigstens geht es so: ich
fühle st a r k sein Ich, aber ich fühle in dieses sein Ich nicht zugleich
das meine hineinverwandelt, wie bei denen, die ich für die Größten
halte. Diesen Vorbehalt möchte ich betonen, und ferner den: daß ich
Lissauers rhythmischem Gefühl nicht immer nachgehen kann. Trotzdem
sehe ich ihn unter den lebenden Lhrikern in der vordersten Reihe.
Es ist ein sehr hoher Kunsternst und eine sehr große Begabung für
Veranschaulichung in seinen Gedichten. Gegen den „Acker" finde ich
zudem in seinem „StronK auch ein sehr wesentliches Wachsen nicht nur
des Könnens, auch der Kraft. Damit genug Nmreißen einer Meinung,
weil ein paar Proben viel besser von Lissauers Eigenart zeugen, als be--
sprechende Worte.

Das Buch „Der Strom" ist bei Eugen Diederichs in Iena erschienen.^s

Seele

^du meine Seele, die du beglückst mein Blut, meinen Leib, all mein
^atmendes Sein,

Du fliegst auf in die Welt, und die Welt wird mein,

Menschen und Fluten und Felsen und Sterne, —

Froh badest du dich in aller Nähe und Ferne.

O du meine Seele, wie fühl ich dich reisen?

Bebende Luft ist spürend, ist bindend zwischen uns ausgespannt . . .

In Schmiedhämmern pochst du: ich klinge hart wie schlagende Eisen —
Äber Abendsteppe hin treibst du: ich verdämmere weit wie ein Land —
Gier glimmt in mir wie in lauernden Tigerpranken —

Ich zacke steil wie gletscherne Firne —

Es wehklagt in mir Fieberglut eines Kranken —

Ich gleite am Firmament wie Trümmer zerborstner Gestirne —

O du meine Seele, du sollst mir niemals wiederkehren?

Du sollst wandernd wie Wind dich mit Samen von Welt beschweren.

23 Kunstwart XXVI, l
 
Annotationen