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Kunstwart und Kulturwart — 26,1.1912

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Heft 3 (1. Novemberheft 1912)
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Bülow, Marie von: Rednerische Schulung
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Corbach, Otto: Die Verhältniswahl
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https://doi.org/10.11588/diglit.9024#0221

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verschiedenste Weise abzufinden, durch Verschlucken, Zusammenziehen,
Schleisen usw. Diese Naturbehelse verlieren aber beim Redner, der sich
eines allgemein verständlichen Hochdeutsch zu bedienen hat, ihre Be-
rechtignng; hier heißt es „bar auszahlen", aussprechen, was geschrieben steht.

Roderich Benedix hat sein tresfliches Werk: „Der mündliche Vor-
trag"^ in drei Leile gegliedert: der erste gilt der Reinheit und Deut-
lichkeit der Sprache, der zweite der richtigen Betonung, der dritte der
Schönheit, dem künstlerischen Ausdruck. Dieser Linteilung des Stoffes
verwandt sind Hans von Bülows Mahnungen: „man müsse zuerst richtig,
dann schön, dann interessant spielen". Beim Spielen unterschied er
„Klavier sp r ech e n" von „Klavier p la p p e r n". „Deutliche Aussprache",
sagte er, „ist noch kein verständiges Deklamieren, sinnvolle Deklamation
ist noch nicht empfindungs- und somit eindruckssichere Beredsamkeit. Eine
»Kunst des Vortrags« wird aber, zumal in der Tonsprache, erst durch
das Zusammenwirken dieser drei Faktoren begründet, von denen jeder
höhere den niederen bedingt." Was er so für die Tonsprache sorderte,
ist die conäitio -ine qua non auch für die Wortsprache. Den vorhin
erwähnten Konsonantenanhäufungen widmet Benedix im ersten Bänd-
chen ein besonders umfangreiches Kapitel mit Beispielen, die wahre
Lurnübungen für die Zunge sind und, mit gleicher Gewissenhaftigkeit
exerziert, wie etwa eine Koloratursängerin ihre Äriller und Stakkati
zu bändigen sucht, unschätzbaren Gewinn für zuverlässige Deutlichkeit
in allen Tonlagen zeitigen. Doch muß diese Arbeit der Zunge vom
Ohr überwacht werden, damit um der Deutlichkeit willen sich keine
Manieriertheit und Unnatur einschleiche. Ist es zum Beispiel nach
längeren Versuchen erwiesen, daß ein natürliches Zungen-N das nord-
deutsche Gaumen-R durchaus nicht ablösen will, so verzichte man darauf,
und suche um so mehr anderer, leichter zu überwindender Hindernisse
Herr zu werden. Die Bedeutung der Pausen als physisch notwendig,
als verständnisfördernd und endlich als Kunstmittel, den Hörer zu span-
nen, kann nicht hoch genug angeschlagen werden. Doch wird ihre richtige
Bemessung und Verteilung stets Sache der Abung und des Gefühls
sein. Das Gefühl seinerseits kann ebenfalls entwickelt werden. Schon durch
rein technische Studien, worunter tägliches lautes Lesen an erster Stelle
zu nennen wäre, denn sie machen mit dem Stoffe auch innerlich vertraut.

Eingehendere Ratschläge hätten den Gegenstand konsequenter prak-
tischer Schulung zu bilden. Hier kam es nur darauf an, auf weit-
verbreitete Mängel hinzuweisen und die Notwendigkeit der Abhilse fest-
zustellen. Nach dem Vortrag einer ersolgreichen Rednerin sagte eine
von den Zuhörerinnen: „Ieder Einzelne von uns fühlte sich persönlich
angeredet." Es müßte der Vorsatz aller öffentlich Sprechenden sein, ein
solches Lob zu verdienen. Marie von Bülow

Die Verhältniswahl

gibt kaum eine sozialpolitisch strebfame Gruppe der modernen
>Menschheit, die nicht irgendwie für sich oder ihre Nachkommen
'eine Art gefellfchaftlichen Gleichgewichts wiederzuerlangeu hoffte,
das einmal, sei es auch in grauer Vorzeit, obgewaltet haben mag.

* Ein Lehrbuch für Schulen und zum Sslbstunterricht. Leipzig, I. I. Weber.

f. Novemberheft M2

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