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Kunstwart und Kulturwart — 26,1.1912

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Heft 3 (1. Novemberheft 1912)
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Corbach, Otto: Die Verhältniswahl
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Lehmann, Rudolf: Pädagogische Reaktion in England
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https://doi.org/10.11588/diglit.9024#0228

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Indem so die Verhältniswahl dahin wirkt, den Linfluß der Be-
rnfsvereine auf die Gefetzgebung zu steigern, ftärkt sie den besitzlosen
Arbeitsverkäuser im Kampfe um den Anteil am Arbeitsertrage mit
der Arbeitgeberschast seines Bezirkes, oder den freien Bürger im Kampfe
gegen örtliche bureaukratische Willkür viel befser, als das heute ver-
möge persönlicher Beziehungen zwifchen dem einzelnen Abgeordneten
und seinem Wahlkreise geschehen kann. Denn diese Beziehungen
können nie so innig und wirksam sein, wie die Beziehungen des ein-
zelnen Berufsgenosfen zu den Leitungen über das ganze Land verbrei--
teter Berufsverbände. Nun braucht ja gar nicht gleich die radikale
Form des Proporzes eingeführt zu werden, unter der das ganze Reich
als ein einziger Wahlkörper behandelt werden müßte. Man könnte,
wie vorgeschlagen ist, zunächst nur so viel Wahlkreise zusammenlegen,
wie nötig ist, um den Proporzgedanken überhaupt zu verwirklichen.
Es würde vielleicht genügen, Wahlbezirke mit vier oder füns Abgeord»
neten zu schasfen. Die Großstädte würden mit oder ohne ihre nähere
Amgebung geschlossene Bezirke bleiben, und man brauchte im übrigen
kaum über die Grenzen etwa eines preußischen Regierungsbezirkes hin--
auszugehen. Wenn man dann noch das englische, in Dänemark ein-
gesührte System des „einzigen übertragbaren Votums" statt der sonst
aus dem Kontinent üblichen Listensysteme wählte, so bliebe der Vor-
zug des bisherigen Wahlsystems: ein inniges Verhältnis zwischen den
Abgeordneten und bestimmten Wählerschaften herzustellen, so weit ein
solches heute noch wünschenswert ist, erhalten. Beim einzigen über-
tragbaren Votum kann über eine Stimme nie in einem andern Sinne
als dem des Wählers verfügt werden; die zählenden Beamten können
sie nur aus einen bestimmten Kandidaten übertragen, den der Wähler
gekennzeichnet hat. Bei den Listensystemen, die in Belgien, der Schweiz,
Schweden und Finnland (demnächst auch in Frankreich) angewandt
werden, gilt eine Stimme, die für irgendeinen Kandidaten abgegeben
wird, auch sür die Partei, die den Kandidaten ausgestellt hat; die
Stimmabgabe kann also zu dem Erfolge irgendeines Kandidaten dieser
Partei beitragen, Vessen Wahl der Wähler gar nicht zu sördern wünschte.
Alles, was die Gegner des Proporzes für ihre Vermutung anführen,
daß er die Macht der Parteizentralen ins Rngemessene steigern müsse,
läßt sich also mit dem einzigen übertragbaren Votum von vornherein
nicht zusammenreimen. Otto Corbach

Pädagogische NeakLion in England

^»^ie pädagogische Bewegung, welche seit etwa zehn Iahren in Deutsch-
^-M^land die Fachkreise wie die Sffentlichkeit beschäftigt, verfolgt zu
einem wesentlichen Teil den Zweck, mehr Freiheit in unsre Er-
ziehung, mehr Freude in die Schule, mehr Selbständigkeit in die Eutwick-
luug unsrer Iugend zu bringen. Dieser Zweck ist an sich zweifellos berech-
tigt. Die deutsche Erziehung hat lange an einer gewissen Enge und Ge-
bundenheit gelitten, der Schulunterricht an einer Gleichmacherei, welche
die individuelle Entwicklung der Zöglinge beengte und hemmte, zum
Leil wohl auch an einer Äberspannung der äußeren Disziplin, die der
Lharakterbildung nicht förderlich sein konnte.

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Kunstwart XXVI, 3
 
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