Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Kunstwart und Kulturwart — 26,1.1912

DOI Heft:
Heft 3 (1. Novemberheft 1912)
DOI Artikel:
Lose Blätter
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.9024#0231

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Lose Blätter

Aus Franz NabLs Roman ^Ödhof^

fWir bringen im folgenden die Stelle <rus Nabls „ödhof", wo der
alte Professor Meser zu den ödhofern zu Besuch kommt; die Leser wollen
darüber den Aufsatz über Nabl in diesem Hefte nachsehen. Arlets mshr-
malige Bezugnahme auf Schinkl hat diese Bedeutung: Sch. ist ein ver-
lotterter Student, der schon in jungen Iahren auf „LarriLre" in jedem
Sinne verzichtet hat und allmählich in Arlets Dorf zugrunde geht, elend,
aber völlig frei von Konventionen und StandesunglückZ

G

H m die Zeit, da die Post auf dem Sdhof einlangte, waren meist schon
^ S alle vor dem Mittagmahl im Speisezimmer versammelt. And ob-
'^v^wohl eigentlich niemand etwas sonderlich Wichtiges erwartete, war's
doch ein großer Augenblick, war's wie der Hauch eines Ereignisses, wenn
Iohannes Arlet den kleinen Schlüssel ins Schloß der Ledertasche steckte und
die Sendungen herausnahm. Viel kam nicht zum Vorschein. Die Zei-
tungen vom Vortage, ein paar Börsenberichte aus den Bankhäusern, in
denen er sein Vermögen liegen hatte, und allwöchentlich ein pflicht-
mäßiger Bericht von Hans und Karl Arlet. Früher, solange ihr
Kind noch gelebt hatte, war auch für die Fuchstaler von Zeit zu Zeit
ein Brief eingelangt. Eine kalte, sachliche Nachricht von der Pflege-
mutter. Aber das hatte jetzt aufgehört. Dafür bekam der Doktor Meser
beinahe täglich ein Schreiben von daheim. Stürmische und hungrige
Fragen des alten Professors nach dem Leben und der Welt jener neuen
Kreiss, die sich seinem Sohn erschlossen hatten, wehmütige, ja oft ver-
bitterte Klagen über die Enge und Einförmigkeit seines eigenen Platzes
im Dasein.

». . . Lange kann ich es nicht mehr ertragen, mein Sohn, meine
Seele zittert in angstvollem Verlangen, und wer weiß, — vielleicht ist
meine Zeit nur mehr kurz bemessen. Du bist brav gewesen, dein ganzes
Leben lang und was ich sür dich geopfert und entbehrt habe, war kein
Opfer, keine Entbehrung. Denn noch immer brennt die Sehnsucht in
mir, wie in meinen jüngsten Tagen, und darum ist nichts verloren. Ich
hoffe, ich werde doch noch einmal die großen Flügel anschnallen dürfen
und hinausfliegen in die freie Weite! . . . Ich will einmal die Sonne
sehen, ohne daß sie mir die Schatten meiner Käfigstangen über die
Füße wirft . . Freilich, die Mutter ist eine Frau, die fest an ihrem
Sessel klebt. Ich will sie darum nicht schelten. Sie ist eine gute Frau,
sie hat bittere Zeiten mit mir durchgemacht, klaglos und heiter im Dulden.
Aber ich hoffe! Auf die großen Flügel, die mich tragen sollen!«

Der junge Doktor las es lächelnd, und manchmal sprach er auch mit
Iohannes Arlet oder mit der Fuchstaler über seine Eltern. Arlet ließ
sich gern von dem alten Professor erzählen, der schon als ganz junger
Mann wegen Kränklichkeit seine Stellung aufgeben mußte und mit den
bittersten Lebenssorgen zu kämpfen gehabt hatte. Dann und wann las

h Novemberheft W2 185 !
 
Annotationen