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Kunstwart und Kulturwart — 26,1.1912

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Heft 4 (2. Novemberheft)
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Marr, Heinz: Staatserhaltende Fahrpreisermäßigungen
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Weber, Ernst: Kleinigkeiten: ein Gespräch auf der Straße
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https://doi.org/10.11588/diglit.9024#0312

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darf. Schöne Methoden staatsbürgerlicher Erziehung! Schöne Aussich-
ten auf unsre Zukunft!

Natürlich verkenne ich die große Mitschuld des sozialistischen Nadi-
kalismus nicht, ja ich bestreite denen, die die Moral des Klassengegen-
sützes propagieren ausdrücklich das Recht, über ein Vorgehen entrüstet
zu sein, das prinzipiell nur dem Geiste entspricht, den sie selbst pflegen.
Ich verkenne auch nicht die Schwierigkeiten, die die sozialistische Iugend-
propaganda der amtlichen Objektivität bereitet, noch weniger verlange ich
von den staatlichen Organen etwa Sympathie für ihre stärksten Gegner.
Schwerer wirkt schon der Mangel an Klugheit, unverzeihlich aber ist der
Mangel an Vornehmheit und an Achtung gegenüber elementaren Be-
dürsnissen des Volkswohls. Sollte man indessen diese Bedürfnisse so
hoch nicht werten und das Verlangen nach Natur eigentlich für eine
„Begehrlichkeit" halten — es wäre ja auch das noch möglich — eines
bleibt dann immer noch: die Absicht, zu strafen und zu ärgern!
Warum denn wählte man für eine solche sozialpolitische Maßnahme
gerade diesen unsicheren Weg? Warum mischte man sich gerade in die
problematischen Zustände der freien Iugendarbeit? Hätte man wirklich
die Bedürfnisse der Iugend im Auge gehabt, so boten sich doch für die
gute Absicht neutrale Anknüpfungen in Fülle: Im größten Leile
Deutschlands ist bereits heute die Fortbildungsschule obligatorisch, und
die Iugend der 'höheren Stände steht zwischen und l? auch noch im
Bereiche der „staatlich geförderten" Schulorganisationen. Waren aber
die dort versammelten Massen sürs erste Entgegenkommen zu groß, so
hätten sich leicht Abgrenzungen, zum Beispiel nach dem Gesundheits-
stand der Schüler, nach dem Einkommen der Eltern, nach der Kinder-
zahl der Familien usw. finden lassen. Nur zum Aussieben der „Wohl-
gesinnten" wäre dieses Verfahren nicht brauchbar gewesen, denn die
meisten gesunden und kranken Kinder hat immer noch das „vaterlands-
lose" Proletariat. Heinz Marr

Kleinigkeiten

Ein Gespräch auf der Straße

N

un, was sagst du denn zu euerm neuen Ober? Taugt er was? Seid
ihr zufrieden mit ihm?" Der Gesragte verzog den Mund: „Er ist
'ein Kleinigkeitskrämer!" „Wieso?" „Ia, denk dir nur: Früh-
morgens steht er um ^8 mit der AHr unten am Eingangstor und kon-
trolliert die einpassierenden Lehrkräste. Wer eine halbe Minute zu spät
kommt, bekommt einen Warnungsblick. Bei einer ganzen beginnt der
Rüsfel. Dann läßt er sich die Hefte bringen und schaut, ob das Vide-
zeichen in der übernächsten Zeile genau zwei Finger breit vom Rande
entfernt ist oder ob aus den Löschblättern Kleckse zu finden sind. Wer
anders als aus Zehen durch die Gänge geht, wird abgefangen und im
Schleichen geübt." „Du übertreibst wohl!" „Ich könnte dir noch ein
Dutzend ähnlicher Stücklein berichten; aber das würde mir die Laune
verderben. Ich bin froh, daß ich wenigstens noch außerhalb der Schul-
wände Mensch sein darf." — Das Äbrige verschlang der Lärm der Straße.

Ich schlenderte weiter, und vor mir stieg das Bild jenes „Ober",
jenes Inspektors oder Direktors, auf: der Mensch mit dem argwöhni-
schen, ewig spähenden Blick, mit der fortwährenden Sucht, irgendeinen

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Kunstwart XXVI, H
 
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