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Kunstwart und Kulturwart — 26,1.1912

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Heft 4 (2. Novemberheft)
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Lose Blätter
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Vom Heute fürs Morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.9024#0333

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Aber er beugte sich immer weiter vor, und als wir daheim waren, sauk
er ganz zusammen und machte keinen Versuch, auszusteigen, als Mutter
und ich aufstanden. Ich glaubte, er sei tot.

Aber so schlimm war es doch nicht, obgleich es wohl nahe genug daran
gewesen war."

Hier machte die Pfarrerstochter eine Pause. Ihre Stimme bebte,
und sie brauchte Zeit, sich zu beruhigen, ehe sie weiter sprechen konnte.

„So, nun weißt du, wie es mir hier geht," sagte sie dann. „Die Stief-
mutter mag mit mir machen, was sie will, ich kann bei Vater nicht
klagen, denn ich fürchte, der Schlag könnte ihn dann wieder treffen wie
damals, als er vom Brobyer Markt nach Hause fuhr und an unsern
Unfrieden dachte."

„Aber sieht er es dcnn nicht selbst?"

„Das ist wohl möglich, aber er kann nichts mehr tun. Es sieht jetzt
aus, als sei er wieder gesund, aber ich weiß wohl, wie schwach er ist.
Niemals kann Vater wieder so werden wie er an jenem Morgen war,
als wir miteinander zu dsn Mähern auf den südlichen Anger hinaus-
gingen."

Vom tzeute fürs Morgen

„Was nützt es ihm?"

WW-an spottet wohl über einen
^»Beamten, der durch einen
schönen Orden, den er auf dem
Sterbebett erhält, sich beglückt zeigt
(„was nützt ihm der denn noch?"),
über einen alten Geizhals, der Gold
zusammenschachert, ohne in seinem
Geiz von dem zusammengeschacher-
ten Gold den mindesten Gebrauch
zu machen („was nützt ihm dann
das Gold?"), und meint mit diesem
Spott sehr gescheit zu sein. Aber
man spottet nicht über einen Epa-
minondas, der, todwund, über die
Nachricht vom Siege des Vaterlan-
des zufrieden in den Tod geht,
oder über einen Denker, der sich
für die Mißachtung seiner Zeit-
genossen mit der Hoffnung auf.
Nachruhm tröstet. Was nützt denn
dem Denker der Nachruhm, wenn
er tot ist? Er erfährt doch nichts
davon! Was nützt einem Epami-
nondas der Sieg der Thebaner,
wenn er tot ist? Er hat ja als
Toter kein Vaterland mehr. Der

Spott mit dem Denkwedel „Was
nützt es ihm?" ist also gar nicht
so weise, wie er meint, und ein
Mensch, der auf dem Sterbebette
eine „unnütze" Befriedigung über
irgend etwas genießt, ist deshalb
noch nicht so töricht, wie er aus-
sieht. Es wäre denn, daß man
jeden, der sein Glück in sich selber
und nicht in greifbaren äußeren
Vorteilen sucht, töricht nennen
wollte. Die Erreichung eines Zie-
les, dem man lange oder gar zeit-
lebens nachgestrebt, verschafft eben
dem Menschen Befriedigung, auch
dann, wenn das Ziel an sich win-
dig war, wie bei dem Beamten mit
dem Orden, oder gar verächtlich
wie beim Geizhals, und selbst dann,
wenn das Ziel erst in der letzten
Minute des Lebens erreicht wurde.
Der Beamte mit dem Orden mag
albern, der Geizhals wider-
wärtig sein, aber törichter
sind sie beide nicht, als Epaminon-
das, der sich in der Sterbestunde
mit dem Gedanken an das sieg-

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