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Kunstwart und Kulturwart — 26,1.1912

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Heft 6 (2. Dezemberheft 1912)
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Vom Heute fürs Morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.9024#0504

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Vom Heute fürs Morgen

Ein Weihnachtsheft

legt hiermit der Kunstwart vor. Es
ist sehr wenig darin, das mit dem
Fest nicht in irgendeinem Zusam-
menhang stünde, und gar nichts,
was auszufinden es irgendwelchen
redaktionellen Spürsinns gebraucht
hätte. Einer sehr großen Zahl von
Menschen werden bei dem Gedan-
ken an Weihnachten ganz dieselben
Gegenstände und Fragen ganz von
selber ins Bewußtsein treten, wie
uns. Und doch: vor gar nicht lan-
ger Zeit hätte das Weihnachtsheft
solch einer Zeitschrift wesentlich an-
ders ausgesehen. Mit zwei Worten
zu sagen: der allgemeine „Weih-
nachtsgeist" war heiterer, aber in
seine Heiterkeit war Künstlichkeit ge-
mischt. Zwar: der äußere Anschein
der winterlichen hohen Wochen hat
sich seit vierzig Iahren kaum ge-
ändert. Auf der Straße, in den
Zeitungen neben der echten Heiter-
keit der Kinder und der kindlich Ge-
bliebenen war schon lange dieselbe
falsche Stimmungsmache, dasselbe
„Weihnachtsgeschäst", dieselbe billige
„Wohltätigkeit" und dasselbe So-
tun, als sähe man alles rosig, so-
lange die Christbäume in den Stra-
ßen stehen. Aber mehrere als frü-
her empfinden jetzt all das mit An-
lust, ja sie empsinden es peinlich.
Mehrere als früher empfinden das
Anreligiöse darin, sich nur als von
der Gottheit heiter Beschenkte zu
fühlen, die zu nehmen und nur
zu einem Lausendstel weiter zu
geben hätten. Mehrere als frü-
her empfinden das Berpslich-
tende jedes, auch des göttlichen Ge-
schenks, das Verpflichtende des
Weihnachtssestes. „Vergleicht die
heilige Erzählung von einst mit der
Wirklichkeit jetzt, vergleicht: das gab
euch die Gottheit, und das machtet

ihr daraus!" Weihnachten ist in
höherem Maße ein Fest der Um-
schau unter den ethischen Werten
und damit der Einkehr gewor-
den. Aber damit auch ein Fest der
Klärung halb unbewußter Gewis-
sensmahnungen. Amd also überall,
wo es den Willen stärkte, jetzt
erst recht ein Fest der Befrei-
ung und eben dadurch doch wieder
der inneren Freudigkeit. Das
Weihnachtsfest des Lebendigen in
unserm Volk ist in den letzten Iah-
ren ernster, aber zugleich auch
schöner geworden. A

Iohannes Müller

^v^-ehr als 70 000 Bände seiner
^L^Schriften sind nun wohl in
Deutschland verbreitet. Wer auf der
Warte steht, um die werdenden Kul-
turmächte zu erspähen, der kann
nicht umhin, sich zu fragen: mit
welchen Empfindungen soll ich dieser
Bewegung zusehen? Müller unter-
scheidet sich mit einer gewissen
Kühnheit von den Mächten, die
heute im Vordergrunde des Geistes-
lebens der weitesten Kreise stehen,
durch sein Verhältnis zum Christen-
tum; und Rittelmeyer, der die erste
verdienstliche Studie über Müller
geschrieben hat, getraut sich schon,
in ihm ein elementares Ereignis
in der Geschichte des Christentums
zu begrüßen. Was um so auf-
fälliger ist, als Müller ja die ganze
Entwicklung des Lhristentums seit
Iesus mit den kräftigsten Aus-
drücken ablehnt.

Wobei es ihm mit dem religiösen
Lrlebnis ergangen ist, wie allen
denen, die so stark und lebendig
empfinden, daß sie etwas völlig
Neues entdeckt zu haben glauben.
Soll man an Iohannes Müllers
Gedankenwelt philosophische Maß-

M Kunstwart XXVI, 6
 
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