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Kunstwart und Kulturwart — 26,1.1912

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Heft 6 (2. Dezemberheft 1912)
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Vom Heute fürs Morgen
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Unsre Bilder und Noten
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https://doi.org/10.11588/diglit.9024#0535

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gegengesetzt als dieser. Sondern die
„verständigen" und „praktischen"
Menschen: diese sind in dem jetzigen
Zustande der Welt das Gegengewicht
gegen die Religion, und ihr großes
Äbergewicht ist die Ursache, warum
sie eine so dürftige und unbedeu-
tende Rolle spielt. Von der zarten
Kindheit an mißhandeln sie den
Menschen und unterdrücken sein
Streben nach dem Höheren. Mit
großer Andacht kann ich der Sehn-
sucht junger Gemüter nach dem
Wunderbaren und Abernatürlichen
zusehen. Schon mit dem Lndlichen
und Bestimmten zugleich suchen sie
etwas anderes, was sie ihm ent-
gegensetzen können; auf allen Seiten
greifen sie darnach, ob nicht etwas
über die sinnlichen Lrscheinungen
und ihre Gesetze hinausreiche, und
wie sehr auch ihre Sinne mit irdi-
schen Gegenständen angefüllt werden:
es ist immer, als hätten sie außer
diesen noch andere, welche ohne
Nahrung vergehen müßten. Das ist
die erste Regung der Religion. Eine
geheime unverstandeneAhnung treibt
sie über den Reichtum dieser Welt
hinaus. Daher ist ihnen jede Spur

einer anderen so willkommen; daher
ergötzen sie sich an Dichtungen von
überirdischen Wesen, und alles, wo-
von ihnen am klarsten ist, daß es
hier nicht sein kann, umfassen sie
mit aller der eifersüchtigen Liebe,
die man einem Gegenstande widmet,
auf den man ein offenbares Recht
hat, welches man aber nicht geltend
machen kann. Ietzt wird der Hang
von Anfang an gewaltsam unter-
drückt; alles Abernatürliche und
Wunderbare ist proskribiert; die
Phantasie soll nicht mit leeren
Bildern angefüllt werden: man
kann ja unterdes ebenso leicht Sachen
hineinbringen und Vorbereitungen
aufs Leben treffen. So werden die
armen Seelen, die nach ganz etwas
anderem dursten, mit moralischen
Geschichten gelangweilt und lernen,
wie schön und nützlich es ist, fein
artig und verständig zu sein; sie
bekommen Begriffe von gemeinen
Dingen, und, ohne Rücksicht auf
das zu nehmen, was ihnen fehlt,
reicht man ihnen noch immer mehr
von dem, wovon sie schon zu viel
haben. Schleiermacher

Unsre Bilder und Noten

G

enau vor zehn Iahren haben wir Dürers Stich „Lhristi Geburt"
vor unser Weihnachtsheft gesetzt. Wer das Blatt dorther oder
sonst zur Hand hat, vergleicht es vielleicht nicht ungern mit A l-
brecht Altdorfers Gemälde aus dem Kaiser-Friedrich-Museum,
dessen Geist unser heuriges Weihnachtssest einleiten, sozusagen einläuten
mag. Es ist nicht die geringste äußerliche Nachahmung des Nürnbergers
durch den Regensburger zu sehen, daß aber Altdorfers Sinn den Dürer-
schen Stich kannte und wohl aufgenommen hat, wird uns trotzdem sehr
wahrscheinlich vorkommen. Bei Altdorfer fehlt nun, was Dürer hat: in der
Vielheit die Klarheit und jene auf alles erstreckte Liebe an den Din-
gen, die auch jeglicher Nebenform auf das ordentlichste nachgsht: man
kann in Altdorfers Räumen lange nicht so gut herumgehen und wohnen.
Wird auch nicht in gleichem Maße zum einfachen Miterleben am reli-
giösen Vorgang gestimmt, wie auf Dürerschen Werken. Man vergleiche
dann die Altdorferschen Pslanzen mit den Dürerschen, wie Altdorfer

2. Dezemberheft M2

W
 
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