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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 39,2.1926

DOI Heft:
Heft 12 (Septemberheft)
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Schumann, Wolfgang: Liebe
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Bartsch, Rudolf Hans: Von deutscher Liebe
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https://doi.org/10.11588/diglit.8000#0379

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wir allein durch llebendes Schanen. Mit einem Wort: Liebe ist Richtkrast. Sle
richtet Blick nnd Streben auf eine Znknnft, die der Liebende als lebenstverter erkennt,
als die Gegentvart ift. Der Hauptgehalt solcher Zukunft aber ist tviederum nichts
anderes als — Liebe. Wie der Einzelne um so mehr zu lieben strebt, je mehr er
schon liebt, so erkennt er auch als nächstes Ziel der Enttvicklung um so deutlicher
und ztvingender die Ertveiternng des Herrschbereichs der Liebe. Als höchste iLorbilder
enttvickelten Menschtums, vorgeschrittener Menschenart gelten in aller Welt und
Zeit die großen Liebenden, deren Werk „nicht von dieser Welt", das aber heißt:
aus Entäußerung geborene, zweckfreie Tak war.

*

Liebe erlangen, heißt: „einen neuen Menschen anziehen", eintreten in
einen andern Stand des organischen Lebens, den annoch geltenden Typus Mensch
hinter sich lassen und die erste AuSsicht gewinnen aus eine kommende Stuse deS
Seins. Diese Stuse kommt! Denn alles, was Einzelne vorauseilend schon er-
reichen, ist für ferne Zeit der Gesamtheit verhießen. Nur was im Geiste solcher
Erkenntnis getan wird, ist wahrhast Tat. Die paradoxeste aller Triebkräfte, sie
allein heißt uns glauben, daß Fremdheit und Feindschaft nicht das gültige, nicht
daS endgültige Gesetz der Welt sind, denn wir überwinden sie mit jeder wahren
Tat, mit jedem noch so kleinen Schritt, den wir auf ihr Geheiß vollbringen. Sch

Von beutscher Liebe

<v^/^venn ich schreibe, wenn ich Mcnschen besehe, wenn ich mich selber betrachte,
1 ^ > immer muß ich gegen meine eigene Jronie kämpsen, und kein Kritiker hat
mich jemals so verrissen, wie ich mich selber. Bloß in einem kann ich nie
völlig ironisch werden: und das ist gerade das Ding, über das die meisten und besten
Witze gemacht wcrden. Hier ist mir eine eigentümliche Frömmigkeit eigen, und doch
gelte ich als „erotischer" Schriststeller.

Sehr gerne möchte ich mich völlig objektivieren und kein Sterbenswörtchen von mir
selber sagen; aber in diesem einen Kapitel dars kein Mann, der nicht lügen will, sich
selber beiseite schieben. Er muß sich bloßstellen, damit man ihm glaube. Denn hier
handelt es sich darum, einem der traurigen und zerstörenden Schimmelpilze, die an der
deutschen Seele nagen, das richtige Laugenwasser zu mischen.

Wirklich: das ist jetzt so. Beinahe niemand in den großen Städten liebt mehr. Und
wenns doch da oder dort einen stark am Herzen zerrt, er wagts gar m'cht mehr,
klar und anständig zu bekennen: „Jch liebe" —, damit er nicht ausgelacht werde.
Die große Liebe ist, wie die apostolische Armut, scheinbar zu ganz versteckten, ties
einsamen und höchst bescheidenen Menschen geflüchtet, oder sie ist überhaupt aus dem
Westland davongegangen. Etwa bis zum Ural und weiter, so weit die an sich ganz
bedenkenswcrte Moral der sreien, kleinen, russischen Studentin reicht, sehe ich wahre
Liebe, beiläufig, zumeist nur mehr in jüdischen Ehen.

Jch möchtc hier eine ganze Reihe Gedankenstriche machen; denn wcnn ich, der den
Juden nie fürchtete nnd sogar seine Weltherrschaft verlachen würde, vor ihm in etwas
einen Heidenrespckt (Heide wörtlich mit Goi zu übersetzen) habe, so ist es das, daß
cr trotz sciner enormen Erotik treu und monogam zu sein vermag. Aus der deut-
schen Seelc aber geht solche Liebc reißend schnell fort.

Das ist eines der schlimmsten Dinge, um die ich in diesen Tagen weiß, daß man den
Geschlechtsgenuß mit Liebe verwechselt, bloß weil er so unbändig stack zur Liebe
gehört.

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