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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 9.1895-1896

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Heft 2
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Lichtwark, Alfred: Die Geschichte der Bildnismalerei
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.11730#0034

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allem bei Rembrandt, der ihn zur Jntimität führen
wird, dem höchsten Ziel, zu dem sich der Amateur
hinaufarbeiten kann. Nlkred Licbkvvark.

Bildniffe hütet und feine Anregung bei den Meiftern
fucht, die unserm Gefühl am nächften ftehen, bei
Titian, Velasquez, Frans Hals, und fchließlich vor

N u n d s ck a u.

Dicdtung.

* Ikonrad Zferdinand MeLer ward am 11. Oktober
siebzig Jahre alt.

Der Mann, der jetzt auf seinem herrlichen Sitze am
Züricher See in tiefer Zurückgezogenheit lebt, war nie ein
volkstümlicher Poet und wird nie einer werden. „Gold-
brokat", mit diefem Worte bezeichnet Gottsried Keller wun-
derbar treffend Meyers Dichtnng.

Wer feine Werke kennen lernt, wird nicht schon nach
den ersten Seiten in ihnen heimisch. Es ist ein Mann
der seinsten Formen, der ihm daraus entgegentritt,
ein Mann, der fortwährend das Bemühen zeigt, ihm
wohlzuthun und ihn nimmer zu verletzen, ein Mann, der
auch von den erschütterndsten Ereignissen in der gewähl-
testen Sprache mit gemessener Haltung spricht. Er baut
mit seinen Worten vor dem Hörer eine Welt von
großen Gestalten auf, die zunächst wie erstarrt scheinen,
wie erstarrt mitten in voller Bewegung. Jn einem Tempel
sühlt fich der Besucher, an dessen Wänden ihn die über-
großen Marmormenschen alter Reliefs im Halbdunkel
umstehen. Aber wie er des Führers vor ihm vergißt,
der ihn hergeleitet, und sich ftill in ihre Betrachtung ver-
tieft, leben sie auf, wie starr sie bleiben, leben sie auf in
einem leidenschaftlichen, grotzbewegten, schmerzvollen Leben,
und nun er den Führer vermißt, erkennt er's, daß der
Führer der Herr, der Schöpfer, die Seele all dieser Ge-
stalten war, daß ein tiefes, heißes Herz sie alle durch-
^ blutet hat, ein großes Herz, das sich scheute, offen von sich
selber zu zeugen. Der feine Weltmann, der uns vorhin
erzählte, ist verschwunden, allein seine Gestalten sind gegen-
wärtig und was aus ihnen spricht, ist der große leidende
Mensch, den wir aus jenem feinen Weltmanne nicht
fprechen hörten.

Es ist in dieser Zeitschrist des öftern von Meyer und
seinen Werken gesprochen worden. Jmmer, auch bei seinen
Gedichten, war es gerade das wundersam Zurückhaltende
seiner Kunst, ivas ihr die Macht gab, so zu fesseln, diese tiefe
Ruhe, die doch durchzittert ward wie von nahendem Sturm,
diese klare Helle, in der es von Schatten geisterte. Als
Mensch vom heißesten und eigenartigsten Empfinden, das
nach rücksichtslosem Ausdruck drängte, als Künstler wie
ganz wenige von der Bedeutung Maß haltender und ord-
nender Besonnenheit überzeugt, hat Meyer unser Schrift-
tum mit Dichtungen von tiefversenktem aber feinstem Gold-
gehalte bereichert. Fernstehend den Beftrebungen um eine
volkstümliche, nationale Dichtung, wird sein Lebenswerk
doch in hohen Ehren bleiben, nicht zu täglicher Erquickung
und Erbauung, aber zu gelegentlichem künstlerischem Feft-
genuß.

-n-.

-

» Vor wenigen Wochen ist MMbelm Derkz sechzig
Jahre alt geworden — in unsrer Scheu vor allzu vielen
Jubiläen ungewohnt, bei unsern Begrüßungen von den
fünszigsten, siebzigsten und achtzigsten Geburtstagen ab-
zuweichen, wären wir ohne eine besondre Beobachtung nicht
darauf zu sprechen gekommen. Was uns zu reden be-
wegt, ist eine gewisse Kühle der Jubilanten in der Tages-
presse gegenüber nicht dem Gelehrten, sondern dem Dichter
Hertz, eine gewisse reservierte Höslichkeit, die auf kein war-
mes Verhältnis schließen läßt. Sieht man denn in Hertz
nur ein Mitglied des Heyseschen Dichterkreises, dem man
mit einem Hutabziehen vollauf Ehre genug giebt? So
stehen die Sachen nicht. Wir wollen von allen übrigen
Hertzschen Dichtungen schweigen — weiß man denn aber
nicht, welch ein kostbarer Schatz im „Bruder Rausch"
steckt? Wo ist denn weitumher in Raum und Zeit
ein ähnliches Meisterwerk erzählender Versdichtung ge-
schaffen worden? Ein Werk mit so reichem Gehalt an
feinsinnigen und weitsichtigen Gedanken, von so stolzer
Freimütigkeit, so tiefgrabendem Ernst und so lustig hin-
schwebendem Humor, mit einer solchen Fülle von An-
schauungen einer aus glücklichster Beobachtung schöpfenden
Phantasie und von einer so bezaubernd schönen und zu-
gleich charakteristischen echt dichterischen Sprache? Kennte
man unsre VerhültnißH nicht, man müßte staunen, daß
solche Schöpfung binnen mehr den zwölf Jahren nur in
engen Kreisen bekannt geworden ist. Sie gehört nicht
nur in die Literaturgeschichte, sie gehört ins Leben. Daß
diese Zeilen ein wenig beitrügen, den kleinen Heidengeist
„Bruder Rausch" wieder etwas lebhafter umgehen zu
lassen!

* Pcböne Ltkeraknr.

Heilige Meuschen. Novellen von Adolf Vögtlin.
(Leipzig, H. Hässel).

Der Verfasser dieser Novellen hat sich bereits vor
mehreren Jahren durch eine historische Erzählung: „Meister
Hansjakob" sehr vorteilhaft in der Literatur eingeführt.
Diese Erzählung gemahnte an das Muster C. F. Meyers,
verriet aber so viel eigenartige Kraft und bewußte Ubung
eines durchdachten, künftlerischen Stiles, daß man der
serneren Thätigkeit des Dichters mit sreudigen Erwart-
ungen entgegen sehen mußte. Auch das neue Buch be-
zeugt ein gereiftes Können. Adolf Vögtlin zählt nicht zu
den schnellfertigen Schriftstellern, denen jedes Jahr, in dem
sie den Markt nicht vergrößern, verloren scheint. Er
ruht nicht, ehe er einen Stoff in voller Rundung erschaut
hat, und gestaltet ihn mit einer Sorgfalt und Liebe aus,
die bis ins Kleinste geht. Schreiben ist für ihn eine
Kunft und die Sprache ein spröder, ungefüger Stoff, dem
man die künstlerische Form abringen muß. Diesen Stoff
aber beherrscht Vögtlin in einer Ausdehnung, wie wenige
 
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