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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 9.1895-1896

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Heft 3
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Bartels, Adolf: Über den Stil in der Dichtkunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.11730#0047

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Lrstes Oovemberbett IS9Z.

-

Mber den Stil in der Diebtknnst.

^as ist der Stil? Eine Definition ist nicht
so leicht zu geben. Ursprünglich ist das
Wort, seiner eigentlichen Bedentung ge-
mäß, wohl nur von der Schreib- und Zeichenkunst
gebraucht roorden, dann hat man es zunächst auf die
Behandlung der Sprache und die Baukunst übertragen,
um es nun bei allen Künsten in ausgiebigster Weise
zu verwenden. Fragen wir: Was ist Stil in der
Sprache?, so ließe sich daraus etwa antworten: Die
Art und Weise, wie einer die Sprache bei aller Ge-
setzmäßigkeit srei behandelt, das Verhältnis von Ge-
setzmäßigkeit und Freiheit, das sich aus der Wechsel-
wirkung der Sprachgesetze und der Persönlichkeit des
Sprechenden oder Schreibenden notwendig ergibt.
Die Gesetzmäßigkeit leitet sich bei der Sprache und
sernerhin bei jeder Kunst aus der Natur des verwen-
deten Stoffs und der Entwicklung, die mit ihm durch
die Menschheit oder die Völker vorgegangen ist, her;
wir haben also beim Stil wie bei der Kunst über-
haupt drei Elemente, aus denen er erwächst, das stoff-
liche, das generelle und das individuelle zu unter-
scheiden. Bei der Sprache, oder sagen wir, der Schreib-
kunst ist das individuelle Moment das eigentlich stil-
prägende, „1e 8t^1e c'e8t 1'llornrne", sagt Buffon,
keineswegs jedoch bei jeder Kunst, wie es schon die
Namen der Stile gelegentlich erweisen; so bei der
Baukunst, wo sie von Völkerschasten hergenommen
sind (assyrisch, dorisch, ionisch, romanisch, maurisch,
gotisch), wo also doch wohl das Generelle aus-

schlaggebend ist. Auch das Stoffliche kann es unter
Umständen sein; wir haben Künste, die vom Stoff,
den sie verwenden, und der aus seiner Beschaffenheit
sich ergebenden Technik völlig abhängig sind, wie z. B.
die Glasmalerei, die Bildnerei in bestimmten Thon-
arten, in Elsenbein u. s. w. Auch der Zweck einer
Kunstübung (man braucht deswegen der Kunst im
allgemeinen noch keinen Zweck unterzulegen) bestimmt
oft den Stil (rhetorischer Stil, Kirchenstil, Villenstil),
doch sallen die aus ihm erwachsenden Stileigentüm-
lichkeiten meist unter die generellen. Jn der Regel
ist ein Stil sür die Anschauung oder doch die Em-
pffndung auch weiterer Kreise unschwer erfaßbar, ihn
wissenschaftlich zu umschreiben ist aber nicht immer
so leicht, da der Stil nicht bei jeder Kunst ganz das
Nämliche ist, die Sprache, indem sie dasselbe Wort
überall gebraucht, wie so oft etwas leichtsinnig ver-
sährt. Doch ist es möglich, indem man jene drei
Elemente im Auge behält, den Begriff Stil sür jede
Kunst einigermaßen festzulegen, zu zeigen, wie nach
dem Charakter der einzelnen Kunst das eine oder das
andere Moment vorwiegt, das Verhältnis von Gesetz-
mäßigkeit und Freiheit ein anderes ist. Jch will hier
versuchen sestzustellen, was Stil in der Dichtkunst ist,
verhehle mir freilich nicht, daß ich mich bei der
Schwierigkeit und Weitlüufigkeit der Ausgabe im
Ganzen aus Andeutungen beschränken muß.

Der Stoff der Dichtkunst ist nach der materiellen
Seite die Sprache, nach der geistigen das Leben, um
 
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