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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 9.1895-1896

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Heft 3
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Rundschau
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Sprechsaal
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https://doi.org/10.11588/diglit.11730#0059

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müssen, daß es trifft. Wie weit wir selber den Einfluß
des Berlinertums auf unser Kunstleben sür verderblich
halten und wie sehr wir eine entschiedene Ablehnung
dieses Einslusses durch das übrige Deutschland wünschen,
das wissen unsere Leser aus srüheren Beiträgen. Zwar,
das märkische Volk rings um Berlin herum ist ein ganz
ungewöhnlich tüchtiges Volk, gerade im echten alten
Berlinertum dürsten also wohl der tüchtigen Kerne genug
stecken, wenngleich das Gebiet der Phantasie, die Kunst,
schwerlich der geeignetste Boden sür sie sein dürste. Das
eigentliche Unheil beginnt erst mit dem Großstadtwesen.
Dieses Zusammenhausen von Nord- und Süddeutschen,
Slaven, Juden, Ausländern, es muß ja eine Mischungs-
kultur hervorbringen, der die wichtigste Bedingung gesun-
der Kunst, die aus der heimatlichen Scholle gesüttigte
Bodenwüchsigkeit, die Ursprünglichkeit, sehlt. Wie locker
ist da auch der Zusammenhang mit der Natur, die nur
auf Landpartien oder Sommerreisen mal flüchtig besehen
wird! Flüchtigkeit ist ja überhaupt ein Hauptunglück im
Großstadtleben — sür nichts ist bei der Überfülle von

Eindrücken die rechte Zeit da, und so werden sie alle im
Vorbeigehen benascht, nichts aber wird genossen. Es
gibt unter den gebildeten Berlinern wahrhastig der Leute
genug, die das auch bitter empfinden und den Narren
zürnen, die sich im Zentrum der Kultur stolz fühlen,
während sie doch nur darin sitzen, wie der Bergmann im
Berg, also nicht eben mit weitem Überblick. Wenn man
das eine gute Weile beobachtet hat, wird man zwar nicht
aufhören, sich gegen die Aufdringlichkeit und Grotzrednerei
Berlinischer Literaten oder solcher Leute, die wert wären,
welche zu sein, heiter oder ernst zu wehren, aber man
wird auch etwas wie Mitleid gegen die Ärmsten sühlen,
die von unserem „Unbefangenen" denn doch nicht gerecht
behandelt werden. Und wenn sich trotz all dieser Erschwer-
ungen Einiges auch auf dem Gebiete der Kunst, wie z. B.
die Berliner Bildhauerschule, denn doch recht stattlich ent-
wickelt hat, so wird man sich davor hüten wollen, das
Kind mit dem Bade auszuschütten. Ganz Berlin ist noch
nicht „verberlinert", und gar weit vorwürts kommen wir
mitVerallgemeinungenwie denen des „Unbefangenen" nicht.

Lprecbsual.

Franz Stuck uud große Meister.

Jch habe es schon vielfach lesen und hören müssen,
wie Böcklin, Thoma, Klinger, Stuck in einem Atemzug als
„unsere großen Künstler" genannt werden. Jch bin fest
überzeugt, die Ansicht von vielen zur Geltung zu bringen,
die auch ein Recht zum Mitsprechen haben, wenn ich gegen
eine solche Zusammenstellung protestiere.

Wäre nicht die verblüffende, geniale Ausdrucksfähig-
keit Stucks, ich wüßte mir ein Urteil wie das zitierte
überhaupt nicht zu erklären. Aber macht die Ausdrucks-
fähigkeit den Künstler allein? Den Künstler macht sie,
natürlich; die Größe des Künstlers aber hängt doch
wohl noch von einem anderen Umstande ab. Von dem
Werte dessen, was ein Künstler in sich findet, um es
auszudrücken, wiederzugeben.

Und wie kann man da Stuck mit Thoma oder Böcklin
zusammenthun! Wie kann man den Effekt, die sinnlich
ergreisende Wirkung, die Stuck über seine Gemälde aus-
zugießen weiß, mit der geistigen Größe der genannten
Meister vergleichen!

Wenden wir uns einmal einigen seiner am meisten
bewunderten Bilder zu.

Da ist „der Krieg". Das Schlachtfeld mit den un-
zähligen Leichen und dem darüber hängenden Wolken-
himmel bringt einen einheitlichen, düsteren Eindruck her-
vor und ist sicherlich vortrefflich gemalt. Aber nun die
Figur des Reiters, sie, die doch zweifelsohne den Krieg
oder den Genius dieses Blutfeldes darstellen soll?
S' ist ein böser Mensch ohne Frage; im Dunkeln möchte
wohl ein ruhiger Bürger kaum mit ihm zusammentreffen,
aber wo, wo liegt in diesen Zügen die grimmige Gewalt
eines furchtbaren Geistes? Wo die grimmige Zerstörungs-
wut oder das schreckliche Gesüttigtsein eines blutdürstigen
Dämons? Welcher ünbefangene kann die grausige Größe
des Krieges aus diesem nur unheimlich bösen Gesichte
ersehen?

„Stuck hat ihn aber so empfunden!" Gewiß, und
er hat seine Anschauung meisterhaft ausgedrückt. Von

hier aber zu Böcklin oder Klinger und von dem Effekt
des Unheimlichen bis zur Größe des Furchtbaren ist eine
weite Klust.

Oder nehmt doch „die Sünde" ! Blickt die Sünde einen
großen Menschen so an? Jst das die unheimliche Gewalt,
die mit unerklärlicher Zaubermacht sich Eingang in die
Seele des Edelsten verschafft, die sestgefügte Harmonie
einer starken Vrust zerreißt und — als die Stärkste —
den Starken in wildem Triumphe hinter sich schleift?
Jst das die Reue, die, schlimmer als die Sünde selbst, das
Herz versteinen macht in wilder Verzweiflung? Was
können die Kämpfe einer Seele gewesen sein, aus deren
Zwiespalt sich nicht sürchterlichere Ungeheuer erheben?
Dies raffiniert gemalte Dämlein mit stechendem Blick,
die schlimme Schlange kann wohl manchen braven Mann
verführt haben, in dessen Brust neben guten Tugenden
auch etliche stille Empfänglichkeiten für Pikanterien um
der Pikanterie willen schlummerten — ein richtiger Kerl
kommt ja gar nicht einmal zum Bereuen über ein Aben-
teuer, das er allenfalls in einer schwachen Stunde mit der
unguten Dame gehabt haben kann!

Man denke einmal an die Wucht in den grandiosen
Köpfen „Not und Armut", die Böcklin vor einigen Jahren
im Glaspalast ausgestellt, und man wird sosort einen
Unterschied spüren, der jedes weitere Vergleichen ab-
schneidet.

Aber nicht nur Größe sprechen wir Stuck ab, sondern
auch noch etwas andres, was Thoma sowohl wie Böcklin
und Klinger im höchsten Grade besitzen: das Edle der
Empfindung.

Stucks Fühlen und Sehen ist roh. Die Empfindung
hiervon verläßt mich nie beim Betrachten seiner Bilder:
sei es nun eine Darstellung des Todes, der übers Schlacht-
seld reitet, oder eines Nymphleins, das mit ausgespreizten
Beinen auf dem Sande liegt, oder das Pastellbildnis einer
Frau — überall begleitet mich dieses Gefühl. Und ich weiß,
daß es nicht in der Situation selber für mich liegt. Mich



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