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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 9.1895-1896

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Heft 3
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Sprechsaal
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https://doi.org/10.11588/diglit.11730#0060

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-O


stört nicht die Nacktheit — wie sich die Nacktheit gibt,
darin liegt sür mich das Rohe. Gegen das Gefühl, das
da in mir aufsteigt, hülfe auch die dickste Bekleidung dieser
Gestalten nichts.

Vielleicht kann ich mich am besten vor „Kentaur und
Nymphe" Stucks in der diessährigen Sezessionsausstellung
verständlich machen.

Ein entzückendes Motiv. Ein tölpelhafter Kentaur
preßt liebkosend eine Nymphe an sich, die sich ihm schein-
bar hingibt, rvährend man es wohl merkt, daß sie ihn
nur zum Besten haben will, um ihren rings im Kreise
versammelten Genossinnen den ergötzlichen Anblick des in
seiner Verliebtheit so unbeholsenen Burschen zu geben.

Was hat Stuck daraus gemacht? Man sehe sich eim
mal diese Nymphen, luftige Kinder des Waldes und der
Wiesen, an! Jst auch nur eine einzige unter ihnen, die
man in organischen Zusammenhang mit srischer Luft
und Waldesgrün bringen kann? Meiner Ansicht nach sind
diese Geschöpfe sämtlich Stadtdirnen. Das hat allerdings
mit der Rohheit noch nichts zu thun, und ist nur ein Fehler
im Kunstwerk. Wir kommen aber gleich zur Sache. Man
betrachte nur, w i e sich diese Dirnen freuen am neckischen
Schauspiel. Ausdruckvoll? Ja und wie ausdrucksvoll?
Seht, wie sie ihre Augen ausreißen, wie sie lachen übers
ganze Gesicht, was für srechsuchende Blicke sie schießen!
Wo ist die golden übermütige Heiterkeit der Szene
geblieben? Jst sie nicht verkehrt in plumpe, wilde, gierige
Ausgelassenheit.

Jch mache Stuck keinen Vorwurf aus dieser Auffassung.
Jch verlange nicht von ihm, daß er anders sein soll, als
er ist. Jch wäre der letzte, der das thäte. Aber die Art
seiner Künstlerschast gerade zu bezeichnen, sei unverwehrt:
sie gefällt sich immer im Rohen.

Stucks Kunst ist meiner Ueberzeugung nach eine ple -
bejische Kunst. Man verstehe mich nicht salsch, das soll
keine Schmähung sein. So wie ich die Kunst auffasfe,

scheint es mir berechtigt, ja heiß erwünscht, daß sich jeder
Teil des Lebens darin ausspreche. Von solchem Stand-
punkte gesehen, verschwinden die Wertunterschiede der ein-
zelnen Lebenserscheinungen. Alle sind gleich notwendig,
um das Leben in seiner Vollkommenheit darzustellen.
Und je freier, je unverfälschter, je ungebundener von
äußerlichen Bedenken ein Talent sich ausspricht, desto froher
heiße ich es willkommen.

So ist mir Stuck am liebsten, so habe ich wirklichen
Genuß von ihm, wenn er sich einen plebejischen Vorwurf
wählt. „Viktoria", glaub'ich, hieß das Bild, das er im vori-
gen Jahre ausstellte: ein junger, römischer Athlet betrachtet
eine Viktoriastatuette in seiner Hand, voll düsteren Sinnens.
Dieser Römer mit seinem energischen Kopf, mit seinen
bösen, verderbten Augen scheint mir erfüllt von Leben und
Wahrheit, ein prächtiges Abbild jener düsteren, unheimlichen
Gesellen aus der späteren Kaiserzeit. Hier deckt sich Jn-
halt, Ausdruck, meisterhafte Ausführung.

Jn seinem eigentlichsten Elemente ist Stuck, so mein'
ich, bei der Darstellung grobsinnlicher Scenen; hier könnte
er auch in sich Vollendetes leisten. Nur sollte er seine Ge-
stalten zu diesem Zwecke doch lieber nicht der Welt der
Naturgeister entnehmen. Seine Sinnlichkeit, d. h. die in
seinen Werken ausgedrückte, ist nicht eine Sinnlichkeit, wie
sie in freier Natur sich entwickelt, sondern die Sinnlichkeit
eines Menschen, der in der Stadt mit ihren vielsach ver-
zerrten sittlichen Verhältnissen gebildet ist.

Jch bin am Ende. Nicht zu verkleinern und zu
schmähen, war der Zweck dieser Skizze: wir wollen Stuck
Gerechtigkeit widerfahren lassen nach bestem Können und
Wissen, und immer von neuem staunen über die ver-
schwenderische Gabe des Ausdrucks, die ihm geworden ist.
Aber mit ehrlichem Zorn und laut wollen wir uns da-
gegen wehren, wenn man ihn unseren großen Meistern
Thoma, Klinger, Böcklin an die Seite setzen will.

L. ll) e b e r.

Äber den SNl in der Dicbtung. — IKundscbau. Dichtung. Schöne Literatur: MartinGreifs
> „Gesammelte Werke". „Die Erbschleicherinnen" von Ernstv. Wolzogen. „Sturmwind im Westen" von
Felix Holländer. — Theater: Wichtigere Schauspielaufführungen (Berliner Brief. Münchner Brief. Dresdner
Brief). — Musik: Wichtigere Musikaufführungen sBerliner Brief). — Bildende Künste: Briese über bildende
Kunst sBerliner Brief). Kunstblätter und Bilderwerke. (Die Wiedertäufer von Jos. Sattler). — Vermischtes:
Das Berlinertum in Literatur, Musik und Kunst. — Sprechsaal: Franz Stuck und große Meister.

F^rllLllillUNrN Nachdruck der Grigiualbeiträge uusres Blattes gestatteu wir nicht nur geru, souderu
-a—!-c-wir bitten sogar im Interesse der Sache darum, müssen jedoch deutliche Guellen-

Ven

zu geneigter Weuebtung.

Angabe zur Bedingung machen. IKedaßtion und verlag des Aunstwart.

Ifrunstvvurt-Nnzeiger.


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