Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 9.1895-1896

DOI Heft:
Heft 9
DOI Artikel:
Sprechsaal
DOI Artikel:
An die bildenden Künstler
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.11730#0156

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
erlösen, wenn nichi von dcn blutleeren Lippen das be-
freiende Abschiedswort „Amen" crseufzte. So löst der
Maler die qualvolle Erschütterung in der Seele des Be-
schauers auf irn tiefsten und letzten Troste, der allerrr Ge-
schasfenen winkt.

Mit Obigern habe ich dern Leser den Jnhalt erniger
Bilder von Leempoels zu schildern versucht; von der tief-
sten Eigenart des Künstlers aber, die mit einem gemein-
samen Zuge alle seine Werke umschlingt und ihnen erst
den vollen Stempel seiner Persönlichkeit ausdrückt, habe
ich noch nicht gesprochen.

Jch darf wohl ohne Übertreibung sagen, jedermann
der vor ein Bild vvn Leempoels tritt, wird sofort einen
ganz eigentümlichen Eindruck von den darin dargestellten
Persönlichkeiten erhalten. Aus dem Auge der „Freunde"
blickt ein seltsames Leben, noch seltsamer erquillt es aus den
weitosfenen, leuchtenden Augen der „Sphinx", eines Knaben-
bildnisses vom vorigen Jahre, noch ergreifender spricht es
aus der schmerzgefolterten Gesichtsform des Kopfes in
„Amen". Man sühlt sofort, datz diese Leute aus einer
andern Welt kommen, einer Welt, die uns sremd anmutet
und uns dann doch rvieder seltsam bekannt ist, als hätten
auch wir sie schon manchmal gesehen, in einzelnen Mo-
menten, im Traum einmal vielleicht oder, rvenn in schick-
salvoller Stunde blitzgleich ein Licht vor unserem inneren
Auge aufgeflammt, das uns in eigener scharfer Beleucht-
ung Thaten und Gestalten der Vergangenheit gezeigt hat. Es
ist das Reich eines Gedankenmenschen, das sich vor uns
aufgethan. Eines Menschen, in dessen Leben die äutzeren
Einflüsse weit zurückgetreten sind vor den bestimmenden
Mächten seines Jnnern, und dessen inneres Leben wieder,
dessen tiefes Fühlen und künstlerisches Erfassen übermäch-
tig beherrscht und durchdrungen ist von dcm nach Er-
kenntnis und Erlösung grübelnden Gedanken. Jch möchte
einen solchen Mann dem sangeskundigen Odhin der nordi-
schen Sage vergleichen, der in schwere Gedanken ver-
sunken am Wasser Urdas dem Rauschen des Schicksals-
brunnens lauscht.

Ein Künstler aber mit einer so gearteten Seele wird
jedem ernster Fühlenden wahre Offenbarungen geben und
ihm neue, dunkelgeahnte Tiesen seines eigenen Seins und
des Menschenseins überhaupt erschließen. Und ein solcher
Künstler ist, so behaupte ich, Leempoels. Die Vegründung
für meine Ansicht, datz er zugleich ein grotzer Meister in
seiner Kunst ist, habe ich zu geben versucht — wenn man
überhaupt in solchen Dingen von Begründen reden kann.

Und nun noch ein Wort darüber, wie Leempoels
seine phantastischen Bilder, seine Traumerscheinungen,
seine Visionen darstellt. Die ganze gesunde Kraft einer
männlichen Natur scheint mir hierbei zu Tage zu treten.
Die Ausdrücke Traumbilder, Visionen sind mir sogar sast
zu romantisch umhaucht, als datz sie mir sür die Bilder
Leempoels taugten. Die Vision war Wirklichkeit vor
dem inneren Auge des Künstlers, und als Wirklichkeit
stellt er sie vor uns hin. Datz sie dabei und trotz alledem
den unirdischen Charakter nicht verliert, dafür bürgt das
wundersam ties erfatzte innere Wesen der Erscheinung
selber, das überraschend deutlich in der üußeren, der
körperlichen Eigenart zu Tage tritt. Es ist die grötzere
Art Kunst, meine ich, eine Kunst, die nicht schön oder
schrecklich malt, sondern das Schöne, das Schreckliche selber
ohne schmückende Beigabe zu geben bemüht ist. Goethe
nennt die eine Weise darzustellen „klassisch", die andere
„roinantisch", geradezu mit dem Unterschied von „gesund"

und „ungesund." Meinem Gefühl nach geht das ein wenig
zu weit, aber ich glaube, auch wir gehen in letzter Zeit
darin zu weit, das Schöne schön und das Märchenhafte
auf märchenhafte Weise zu schildern, ja (tüusche ich mich?)
manchmal sogar so weit, datz man fast nur noch eine
märchenhafte Schilderung ohne das Märchen selber sieht.
Wie verhält es sich damit bei manchen „Farbensympho-
nikern" und Symbolisten? Jch glaube, nicht ich allein
würde es mit lebhafter Freude begrüßen, wenn einmal
jemand, der auch in der intimeren Technik der bildenden
Kunst vollständig bewandert ist, sich in dieser Richtung
ausführlicher aussprüche. Gerade solcher Umstände halber
sollten wir aber mit doppelter Freude eine Erscheinung
wie Leempoels begrüßen, der nicht das Bewutztsein vom
Ergreifenden des zu schildernden Vorgangs zu schildern
sucht, sondern diesen Vorgang selber mit männlicher
Meisterschast darstellt. L. Uleber.

Nn die bildenden Aninstler.

Es muß jedem fühlenden Menschcn weh ums Herz
werden, wenn er die Worte des erblindeten Tiermalers
H. Leutemann in der „Kunst sür Alle" liest. Jm Alter
hilflos dazustehn, wenn die Schaffenskraft, das Auge oder
die Hand erlahmt sind, ist wohl das Schicksal so vieler
Künstler, nachdem sie bereits wührend ihrer Produktions-
zeit mit materiellen Widerwärtigkeiten zu kämpfen hatten.
Wie oft ist das ganze Leben eines ehrlich strebenden Künst-
lers ein einziger Dornenpsad und besonders im Alter ein
bitterer Leidenswcg, namentlich aber dann, wenn, wie in
dem Fall Leutemann, das Unglück sich so furchtbar ein-
stellt. „Vielleicht bringt die Zukunft, wenn ich einmal
nicht mehr bin, in Deutschland auch für solche Fälle eine
Besserung, und ich will in dieser Hoffnnng gern ein Opfer
dafür gewesen sein" — sind diese Worte des so schwer
heimgesuchten Künstlers nicht an jedes fühlende Künstler-
herz gerichtet? Müssen wir sis nicht als eine mahnende
Aussorderung zu treuem Zusammenstehn in Freud und
Leid auffassen? Soll es uns, Jhr werten Kollegen,
nicht mit Freude erfüllen, daß bereits seit zwei Jahren
als sertige Thatsache dasteht, was Leutemann der Zu-
kunst anheimstellt? — Nur herbei, Zchr deutschen Künstler:
Maler, Bildhauer, Architekten, tretet der Renten- und
Pensionsanstalt sür deutsche bildende Künstler (mit der
Zentralanstalt in Weimar) bei, diesem genossenschaftlichen
Unternehmen, welches für die Tage des Alters und der
Jnvaliditüt einen Renten- und Pensionsbezug jedem Mit-
gliede sichert. Abgeordnete deutscher Künstlerverbände
haben dieses humane Werk ins Leben gerufen, und das
künstlerische Erwerbsleben ist ihnen hierbei Richtschnur
gewesen. — Aber nicht nur an die Bedürftigen ist dieser
Appell gerichtet, er gilt ganz besonders denjenigen Kol-
legen, denen es durch des Schicksals Gunst so leicht wird,
Mitglied dieses Jnstitutes zu werden. „Alle für Einen,
Einer sür Alle!", das soll und mutz die Devise sein, wo
jedwedes künstlerische Glaubensbekenntnis sich in einem
gemeinsamen Jnteresse bethätigen kann, um, „in der Einig-
keit stark", das materielle Wohl so vieler hilfsbedürstiger
Kollegen mit warmem Herzen anzustreben. Ja, Jhr großen
Meister, ehrt die Anstalt durch Euren Beitritt und Euer
Wohlwollen! Und Jhr gutsituierten Künstler und jungen
Kollegen, haltet es sür eine heilige Verpflichtung, durch
Erwerbung der Mitgliedschaft dieses der Kunst zu grotzem

142
 
Annotationen