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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 9.1895-1896

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Heft 11
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Avenarius, Ferdinand: Schaufenster
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.11730#0179

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nur eines Abends in einer Hnuptstraße drei Hüuser
mit ihren „Pracht - Lnden" ab und vergegen-
wärtige sich, wie sie wirken würden, wären ihre
Schaufenster irur Glasslächen zum Durchschauen!
Und doch fehlten dann noch all die Reize, die sich
aus berechneter Aufstellung für diesen Zweck hin
und durch Gestaltung des „Vordergrundes" im Schau-
fenster gewinnen ließen! Nur die nie hoch genug
einzuschätzende Macht der Gewohnheit vermag zu
erklären, daß der Gedanke nicht schon aller Orten
hundertsach ausgeführt ist.

Aber zur glücklichen Anwendung unserer Vor-
schläge braucht es Geschmack, gut „gebildeten künst-
lerischen Geschmack", wird mir entgegnet. Jch glaube
nun zwar: gar so viel davon ist nicht einmal nötig;
es ist nur nötig, daß wir unser bischen anererbten
Geschmack durch Uebung bilden, und eben da-
zu geüen die Schausenster den Händlern schöne Ge-
legenheit. Wer aber besonderes leisten und sich auch
diese „Geschästsreklame" etwas kosten lassen will —-
warum zieht er nicht nach dem Muster einiger Leute
in den Weltstädten Künstler zu Rate? Für den
zehnten Teil des Geldes, das ihm seine Jnserate
kosten, stünden ihm begabte Maler und Malerinnen

! -

mit Vergnügen zu Dienst, und je mehr, je mehr die
Nachsrage nach solchen Helsern wüchse. Die Kunst
der arrangierten und gesteigerten Farbenpracht, an
die wir bei dem Namen Makart denken, ist in der
eigentlichen hohen Malerei aus gutem Grund zurückge-
drängt worden, aber die Talente für solcherlei „De-
koratives" sind nicht ausgestorben, wie jedes Künstler-
sest, wie jede Künstlerwohnung zeigt. Und gerade
hier sinden sie tresflichste Gelegenheit, sich zu bethätigen.

Jch bitte auch unsere Leser recht sreundlich, die
Frage der Schaufenster nicht von oben herab, nicht als
eine Sache nnzusehen, die eigentlich ihrer Beachtung
unwürdig sei, sondern in ihrem Kreise anregend und
beratend zur Besserung mitzuhelsen. Das, was das
Volk täglich sieht, das, womit es sortwährend umgeht,
das bestimmt ja natürlich im höchsten Maße sein Kunst-
empstnden, seinen Sinn sür Schönheit. Wir soge-
nannten Gebildeten sind viel zu lange, viel zu „aka-
demisch" gewesen. Wir haben auch hier, wie an so
vielen Stellen, Unterlassungssünden gut zu machen.
Thun wir das nicht, wird auch unsere hohe Kunst
weiter mit den Wurzeln ängstlich in der Lust hüngen.

A.


N u u d sck a u.

Dicdtung.

* Zcböne Ltteratur.

K unst und G u n st. Roman von Gertrud Franke-
Schievelbein. (Berlin Fontane L Co., Mk. s.—)

Der Jnhalt dieses Buchs, das au Wert weit über
dem Durchschnitt der deutschen „Frauen-Literatur" steht,
giebt die Entwicklungsgeschichte eines Künstlers, des Peter
Castelli. Geboren in der Begrübnisstunde seines Vaters,
eines bei uns arbeitenden italienischen Steinbildhauers,
lebt er in vollständiger Armut mit von dem Gnadenbrote
aus, das sich seine Mutter bei der Psarrersfrau, die wenig
von der „christlichen Milde" ihres matten Gatten hat, müh-
selig verdienen muß. Die Kameraden verspotten den
Jungen, der so scheu und so fleißig, so gern in der Schule
und so gern auf dem Steinmetzplatze ist: nur von dem
gutherzig-schelmischen Pastorstöchterchen Marthel, von
Herrn Thierbeck, dem Lehrer, und von der Mutter, die
näht und näht, wärmelt es dann und wann ein wenig
in die kalte Jugendzeit hinein. Aber viel von der Seele
des Jungen verstehen diese einfachen Leute auch nicht,
denn da drinnen glüht's und brennt's mit einer Flamme,
die nicht aus einen Herd zu passen scheint, das Essen zu
kochen, und die darum ausgelöscht werden soll. Der junge
Künstler wird also zum Bäckerlehrling gemacht. Und er
bleibt's eine Weile, dann aber rettet das Dorforiginal
den Künstler und den Menschen: der Doktor Knorr, dem

die Kunstliebe ganz tief innen sitzt, schafft den Castelli in
die Stadt zu Kunstschule und Meisterwerkstatt. Der Mann
mit dem gesicherten Ruhme, der große und vielvermögende
Bildhauer Normann nimmt sich da väterlich des Jün-
gers an. Aber ach, in dem leicht zu sangenden Jungen
glimmt allmählich noch ein zweites Licht auf, und es lockt
wie ein Jrrwisch — die Liebe zur schönen Susanna, zur
Tochter des Meisters. Dies bringt ihn in's Verderben,
ihn, der doch den Gefahren fürstlicher Gunst, gesellschaft-
licher Schmeicheleien, genossenschastlichen Neides so gut
entgeht — die Circe verzaubert ihn schnell und gut. Aus
dem Künstler wird ein Virtuos, aus dem Manne ein Geck.
Mutter, Freund und Freundin und Heimat, Susanna
schmeichelt das alles hinunter und läßt Lust und Ruhm
darüberschäumen. Für die Gesellschaft wird ja Castelli
der Erste. Die sürstliche Gnadensonne fällt auf sein Haupt
und blendet seine Augen so, daß er nicht sieht, was nebenan
im heimlichen Dunkel geschieht — dort, wo sein hoher
Protektor ihm mit seinem vergötterten Weibe seine Ehre
stiehlt. Endlich weckt den Träumenden mit einem Hohn-
gelächter die Wirklichkeit. „Jch habe dich zu dem gemacht,
was du bist, ich und Hoheit" — Castelli slieht von der
Schwelle seines eignen Hauses, als die Dirne die Maske
fallen läßt. Und jahrelang irrt er umher, jagt Bären
und Wölfe, vertreibt sich die Zeit, wie's gehen mag. Ge-
altert und müde kehrt er zurück in sein tzeimatsdorf. Da
bestellte ihm der Doktor, dem das Gesicht verwittert, dasHerz
 
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