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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 9.1895-1896

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Heft 12
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Schwindrazheim, Oskar: "Originell"
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.11730#0194

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sonderlich" und da, wo es am Platze ist: „ursprüng- die Kritik der Kritik, denn die Worte: „es ist origi-

lich" Wir qewinnen alle dabei, die Kunst, die Kritik, ^ nell" sagen uns — gar nichts.

^ G. Pcbwindrazdcim.

N u u d

DLcbtung.

* Scböne Litcratur.

In xurpurner Finsternis. Roman-Jmprovisation
aus dem dreißigsten Jahrhnndert von Michael Georg
Conrnd. sBerlin, Verein für freies Schrifttum, geb.

5 Mk.)

Der Klaffenftaat der Kapitalsherrschaft ift zusammen-
gebrochen, aber auch was Svzialiften und Anarchisten
geschaffen hatten, besteht nicht mehr; cin Weltkrieg hat die
Völker aufgerieben bis auf einen kleinen Reft, der nun,
gesondert in Gruppen nach den Überbleibseln der Nationen,
abgeschlossene Zentren zu neuen Entwicklungen gebildet
hat, die fich nicht mehr beeinfluffen und wenig von ein-
ander wisfen. Schier als das sonderbarste der Staatenge-
bilde, die fich da nach der innerften Veranlagung der
Stammnationen gebildet haben, ift „Teuta" entftanden.
Sein Völkchen haust, kaum eine Million Seelen ftark,
unterirdisch in einem Jdeale von Staat, nämlich in einem,
wo all es verstantlicht ist, alle s, fogar die chemisch herge-
ftellte Ernährung, fogar der Verkehr von Mann und Weib.
Worte wie „Natur", find da als ftaatsgefährliche verpönt, fie
könnten den „Frieden" dieses vollkommenen Herdenglückes
ftören, über das in jeder Minute der hohe Rat wacht.
Aber zwei Leute aus Teutn find fich ihres Menschentums
bewußt geblieben, die blinde Jala, mit der der Verfasfer
die dunkle Sehnsucht des Weibes nach Höherem fehr eigen-
artig fymbolifiert hat, und Grege, der Mann, der fieht,
wo das Weib ahnt, will, wo fie wünfcht und handelt, wo
fie sehnt — Grege, der Teuta entrinnt und in ein Land
der wahren Freiheit kommt, nach Nordika. Da wohnen
und walten die Zukunftsmenschen nach den Herzen Greges
und des Dichters, die äußerlich und innerlich freien, hellen,
fchönen, ftarken, bei denen das Wirken der Persönlichkeit
nur gebändigt wird dadurch, daß fie fich nicht mehr
wohl fühlt, daß fie also nicht mehr gedeihen kann, wo
fie den Genossen fchädigen würde. Grege lernt, und dann
kehrt er zurück und beim chöchften nationalen Mummen-
fchanz in Teuta, dem großen Zarathuftrafeft, stürzt er
den Automatenstaat um.

Vielleicht weniger als irgend ein anderer der Ver-
fasfer von Utopien, die das Stürmen und Drängen der
Gegenwart fo zahlreich gefchaffen hat, ift Conrad darauf
bedacht gewefen, eine im einzelnen wohl zu verteidigende
sozialpolitische Konftruktion zu geben. Schon das weite
Hinausfchieben des Zeitpunkts der Handlung und damit
die ungeheure Vergrößerung der Zahl aller Möglichkeiten,
die bis zu ihrem Eintritt gewirkt haben können, deutet !
ja auf die Abficht hin: nicht fchildern zu wollen, was nach
desVerfassers Ansicht mit Wahrscheinlichkeit werden wird,
sondern, was er als das herrlichste erträumt hat und
nun als ein Leitbild hinstellen will.

Selbstverständlich erwüchft ihm doch alles aus der
Kritik der Gegenwart. Und fchon deshalb würe das Lesen

S ck 3 U.

des Buchs eindringlichst allen ernsten und innerlich freien
Menschen zu enrpfehlen, die fich mit ihrer Zeit auseinander-
fetzen wollen, gleichviel, wie nah oder fern ihr Standpunkt
dem des Verfasfers liege. Aber das Buch ist auch fchrift-
ftellerisch wertvoll. Zwar, die Schilderung Teutas, mit
der es beginnt, fcheint mir, künftlcrisch gemesfen, zu lang,
fie mangelt auch oft der Anfchaulichkeit und Frische, sie
wird dann und wann ermüdend, — als weilten wir
felber in diefem Zukunftsteuta. Jch persönlich ivünschte
hier auch weniger Satire und mehr Humor. Wie aber
Grege Nordika betritt, kommt auch Conrad ganz auf feinen
Boden; da wird alles körperlicher und wärmer auch in
der Darstellung, und bald erblüht es ringsum von vollem
saftigem Leben. Meiner Meinung nach ist „Jn purpurner
Finfternis" weitaus das befte aller größeren Werke^Con-
rads. Wir haben nicht viele „Romane", die so reich wie
diefer sind nicht nur an Gedanken, fondern auch an mannig-
faltigen Empfindungen — Vorzüge, neben denen seine
Schwächen weit zurücktreten. A.

Liu Aarr. Roman von Hans von Kahlen-
b e r g. Dresden und Leipzig, Verlag von Karl Reißner.

Der Verfasfer dieses Romans ift ein kleiner Suder- >
mann ; er hat desfen Fixigkeit und Findigkeit, verfteht fich
wie er vortrefflich auf den Effekt und ist daher immer
interessant. Der Narr, der hier gefchildert wird, ift der
Sohn eines Großinduftriellen, der Pfarrer im Dienst der
inneren Mission ist — schon diese Antithefe ergibt eine
Fülle ftarker Wirkungen; er rettet ein Kind des Volkes
aus dem Wasser, und mit diesem kommen Hannele- und
fpüter Almamotive in das Buch, ein großer Arbeiterstreik
und die blutige Niederwerfung eines fich aus diesem ent-
wickelnden Aufruhrs bilden die' Katastrophe. Außer an
die genannten Werke und Autoren mag man noch an
Kretzers „Bergpredigt" erinnern. Das Werk wird vor
allen den anziehen, der ftudieren möchte, wie die literarifche
Bewegung des letzten Jahrzehnts auf die mittleren Talente
gewirkt hat, was fie von dem, was die Pfadfinder und
Meifter Neues brachten, für ihre Bestrebungen brauchen
konnten, das Unterhaltungsbedürfnis weiterer Kreife zu be-
friedigen. Da wird man nun finden, daß alles das, was
die moderne Bewegung hervorrief und ihr zum Siege
vcrhalf, ihre neuen und großen Prinzipien schon wieder
vollftändig in den Hintergrund getreten find, daß nur die
Erweiterung des Stoffgebiets zum Zweck der Erzielung
neuer Effekte übrig geblieben, in Bezug auf die Behand-
lung die neue Konventionalität aber, die auch nicht um
das geringfte höher steht als die alte, durch den Natura-
lismus überwundene, fchon vollstündig fertig ift. Das
foll nicht etwa als Tadel gegen den Verfasfer gerade
dieses Romans gesagt fein, — fein Werk ift gar nicht
schlecht, interessirt und hat eine bestimmte künstlerische
Rundung — es soll allgemein charakterifieren. Am ge-
fährlichsten ift das Beispiel Sudermanns geworden. Der
 
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