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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 9.1895-1896

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Heft 13
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.11730#0209

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u n d sck) 3 u.

DLcbttmg.

* Hcböne Litcratur.

Balladen von Karl S p i t t e l e r. (Zürich,
Albert Müllers Verlag, Mk. z, geb. Mk. q.so.)

Als ich den Kunstwart gründete, riet mir Friedrich
Nietzsche dringend, Karl Spitteler um seine Mitarbeit an-
zugehen: er sei nicht nur ein seinsinniger Kritiker und ein
hochbegabter Poet, sondern auch einer der ganz wenigen
Leute, die deutsche Prosa echt künstlerisch auszumünzen
wüßten. Jch machte mich um so lieber mit Spitteler und
seinen Büchern bekannt, als mir „Felix Tandems" Lob
schon vordem von Einzelnen gesungen war, die nach
blauen Blumen hoch über den Reisestraßen des großen
Publikums zu suchen lieben. Ob Nietzsches Ansicht von
Spittelers Prosa begründet war, darüber haben unsre
Leser aus Spittelers Beiträgen im Kunstwart selber ur-
teilen können. Wer aber von dem Dichter in diesem
Mann auch nur das größte Werk, „Prometheus und
Epimetheus", kennen gelernt, der dars füglich staunen, daß
so bedeutendes auch unter den wahrhast gebildeten Deut-
schen noch immer ivenig bekannt ist. Freilich, es gibt
eine Menge Gründe, die das scheinbar erklären. Doch
selbst der am meisten einleuchtende dasür, die Höhe des
Standpunkts, die Spitteler bei seinem Leser voraussetzt,
hält bei näherem Prüfen nicht ganz Stich. llnsre Jüng-
sten, unsre Nietzscheaner dürften doch wahrlich dadurch
nicht von der Beschäftigung mit diesem Schweizer abge-
Halten werden, den ihr Meister so hoch schützte! Spitteler
hat noch kein Stündchen seines Lebens in einem Klüngel-
krünzchen verschmeichelt — ich sürchte, diese Thatsache
erklärt immer noch mit der meisten Wahrscheinlichkeit, daß
noch weniger von ihm reden, als von ihm wissen.

Liest man in dem vorliegenden Bande, so empfindet
man das Tröstliche: unserm Dichter störr jene Zurück-
haltung nicht im mindesten das Wohlbehagen. Da rritt
nirgends jenes ungesährliche Toben zu Tage, durch das
so viele verkannte Literaturleute die Krast ihrer Sehnen
zu erweisen meinen.

H a u s s p r u ch.

Dies ist mein Haus,

Der Frohsinn schaut draus.

Was ist denn drin?

Was Liebes ist drin.

Jhr bösen Geister lobet den Herrn!

Mit Krankheit bleibt sern.

Aller guten Gaben
Besuch will ich haben.

Der Frauen Schmunzeln, der Männer Witz
Macht die Seele rund und die Zunge spitz.

Jhr lieben Leute, warum ich bitt,

Bringt Eure Kinder mit.

Jch kann sie erwarten,

Jch hab einen Garten.

Ach, heiliger Sebastian im Himmel nrein!

Könnt Jhr denn nicht schrein?

Jodidel, jodudel, so laut als es gellt,

So lang als es hält.

's gibt wichtige Leute im Land genug,

Sie dünken sich weise und sind noch klug.

Bedient denn, o Gott,

Mich niemand mit Spott?

Nichts thut der Leber so wohl und so lieb,

Wie ein geschliffener Schnabelhieb.

Nicht wahr, das klingt nichr nach Verbitterung? Aber
es gibt ein kleines Beispiel sür die urgesunde Lebenskraft,
mit der unser Versasser „von dem goldnen Übersluß der
Welt" trinkt, „was die Wimper hält", von dieser Kraft
srischesten Genießens, von der irgend eine Form von jeder
Seite dieses Buches bezeugt wird. Bis auf eine aller-
dings, bis auf den niedersten Sinnengenuß, denn
weder Gassen-Venus noch Gassen-Bacchus kommen unserrn
Poeten ins Haus, dem sonst die alten Griechengötter sehr
wohl gesonnen sind: Spitteler ist einer der Seltenen,
deren Genußfähigkeit sowohl gesund w i e hüchst ver-
seinert ist. Und so trügt all sein Dichten zugleich das
Gepräge einer vollkommenen Vornehmheit, die jeder Pose
seind, die durch und durch natürlich ist. Nichts bezeich-
nender sür diese Sinnesart, als die solgenden anspruchs-
losen Verse:

Historischer Adelsklu b.

Zu seinem Bruder Pluto sandte Zeus:

„Entbiete mir zu meinem Namensfest
Auf den Olymp die großen Toten sämtlich;
llnsterbliches Verdienst ist auch ein Adel".

Klein war der Saal, erlesen die Gesellschaft.

Als Schibboleth anstatt der Wappenschilder
Diente das Antlitz. Nämlich alle wiesen,

Ob noch so uneins an Profil und Ausdruck,

Doch ein gemeinsam Muttermal im Antlitz,

Das Muttermal des Mutes und der Wahrheit.

Da that sich auf die Thür, und feierlich
Mit hohepriesterlichem Schritt, die Toga
Jn wichtigen Falten um die Brust geworfen
Die Stirn bekränzt, das Lockenhaar gescheitelt,

Erschien ein Gast, den hohen Göttern ähnlich.

Befremden lähmte die Versammlung. Hera,

Die Brauen zuckend, biß sich auf die Lippen.

Zeus aber, freundlich vor den Fremdling tretend:
„Fürwahr, es thut mir leid, ein Mißverständnis" —
Dann wettert' er zu Pluto: „Ohne Spaß,

Mein lieber Bruder, ernstlich, solche Possen
Verbitt ich mir." „Wieso? Das war der große" —
Ntit heftiger Stimme unterbrach ihn Zeus:

„Ein seierlicher Kerl ist niemals groß!

Behalte das und merk dirs für die Zukunst".

Es ist ganz überraschend, wie nahe verwandt Spitte-
lers Empsindungsweise dem ist, was wir unter echtem
Griechentume verstehen. Nicht nur in der tiefen, aber
ruhig-gelassenen Auffassung von Freud und Leid, sondern
auch in seinem Verhültnisse zur Natur finden wir dieses
Griechische, während sich doch nie der Mensch verleugnet,
den eine um zwei Jahrtausende reichere Kulturgeschichte
beliehen und gebildet hat. Auch stofflich zieht Spitteler
oft Antikes heran, und er behandelt es nicht, wie es etwa
ein Antikisierer platenscher Art, ein Klassizist, behandeln
würde, sondern mit'der llnbesangenheit eines Mannes,
der nicht Berichtetes wiedererzählt, sondern Selbstge-
sehenes deutet, ergänzt und weiterführt. Spitteler ist ja
als Dichter nichts weniger als Epigone, er ist eine völlig
selbständige Persönlichkeit, ich gestehe sogar: ich weiß unter
den lebenden Lyrikern und Epikern kaum eine zweite mit
so entschieden gezeichneten eigenen Zügen. Beschreiben
läßt sich natürlich solche „Zeichnung" nicht, man muß sie
sehen, will hier sagen: empfinden. Und da bedaure ich's
recht, daß die besten Gedichte Spittelers viel zu lang sind.
 
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