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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 9.1895-1896

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Heft 14
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Dresdner, Albert: Von der Schauspielkunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.11730#0223

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Lwcites Nprilbett I6SS.

Von der Lekauspielkunst.

mehreren Jahren hat ein Berliner
Kritiker im Kunstwart (IV, 4) die oft
wiederholte Behauptung verfochten, die
Schaufpielkunst fei eine reproduktwe Kunft. Diefe
Anfchauung, die wohl noch heute die landläufige ist,
ift durch die Einficht in das Wesen der darftellenden
Kunft thatfächlich lange überwunden. A. W. Ward
fagt einmal ganz treffend: „Die Auffasfung eines
Charakters wird dem Schaufpieler durch Gegebenes
beftimmt und nicht von ihm geschaffen, und fo kann
man von »Originalität« hier nur in befchränktem
Sinne reden. . . Aber bei der Umwandlung der
Auffaffung in die dargeftellte Rolle ift die Thätigkeit
des Schaufpielers wirklich fchöpferifch, denn hier ent-
fteht die Rolle durch Mittel, welche feiner Kunft allein
angehören." Und fchon vor beinahe einem Jahr-
hundert hat der Freiherr von Einfiedel in feiner noch
heute wertvollen Studie „Grundlinien zu einer Theorie
der Schaufpielkunst" die Frage an ihrer Wurzel gefaßt,
indem er den Schauspieler als einen mit besonderen
Mitteln arbeitenden bildenden Künftler darftellte.

Der Drang und die Fähigkeit zur Darstellung
als der finnlich-körperlichen Wiedergabe poetifcher Er-
zeugniffe ist ein natürlicher und unauslösbarer Be-
ftandteil unferes gefamten geistigen Organismus. Er
ift eine der urfprünglichen und notwendigen Äußerungs-
formen unferes Kunfttriebes. Das Verhältnis liegt
nicht fo, daß der darstellerische Trieb erft nachträglich

an den Trieb zum dichterifchen Schaffen anfchießt;
beide find vielmehr gleichermaßen von Anfang an ge-
geben und ergänzen fich in der Weife zu einer un-
zertrennbaren Einheit, daß die Äußerungen beider Funk-
tionen nur mit einander und durch einander exiftieren.
Ebenso liegen die Dinge auf dem Gebiete der Musik:
auch bei ihr kann man von einer Kunft der Dar-
stellung fprechen, durch die das mufikalifche Produkt
erst zu dem wird, was es zu fein ftrebt. Wie das
Lied gefungen und vernommen fein will, fo will und
muß auch das Gedicht oder die Rhapfodie gefprochen
und gehört, das Schaufpiel dargeftellt und gesehen
werden; die Darftellung ist die organifche Fortfetzung
und Vollendung des dichterifchen wie des mufikalifchen
Schaffens, und erft mit der darftellerifchen Durch-
führung ift die Thätigkeit des Poeten an ihrem Ziele
angelangt. Denn alle Kunft drüngt oon Natur nach
irgend einer Form finnlicher Darftellung als dem ge-
gebenen und einfachen Werkzeuge der Vermittelung
einer Anschauung. Der folgerichtige Ausdruck diefer
Beziehungen ift es, daß in den einfacheren Formen
und Zeiten der Kunftübung beide Funktionen von
denfelben Perfönlichkeiten ausgeübt wurden und werden.
Das Kind, deffen Spiele durchweg einen dramatischen
Charakter tragen, finnt fich gewiffe dramatifch gestaltete
Vorgänge aus und bringt fie felbft zur Darstellung.
Die Tänze, Pantomimen und Schaufpiele, in denen
die Naturvölker ihre religiösen, feftlichen oder krieger-




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