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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 9.1895-1896

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Heft 17
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Avenarius, Ferdinand: Bildliche Ankündigungen
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.11730#0274

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jedesmal freu ich mich dessen, wenn ich solch einen
würdigen steinernen Vertreter von des Landes und
des Reiches Herrlichkeit betrete. Blick ich dann aus
die Bekanntmachungen, die rings im Vorraum ange-
schlagenen, so wird mir wieder anders zu Mut. Denn
aus unsern Fahrplänen u. s. w. herrscht noch der echte
künstlerische Hungerstit: jede Speisekarte eines mitt-
leren Wirtshauses übertrisft sie. Jst es zu unbe-
scheiden gewünscht, daß etwa Randeinsassung, Schwarz-
Rot-Druck und schöne klare Lettern die Nüchternheit
eines Fahrplans ein wenig milderten? Es muß wohl
so sein, denn selbst aus unsern Musentempeln gehen
die Ankündungen noch in dürftigstem Gewande heroor:
sind unsere Theaterzettel nicht kalt, phantasie- und
sarblos wie Zeitungsbeilagen?

Ja, aber diese müßten das auch nicht seiil.
Und immer sind sie's eigentlich auch nicht mehr,
es „wird" hier etwas, die ersten Keime zu dem
neuen Plakat im Kleinen, dem künstlerischen I n s e-
rate, schwellen schon.

Wir dürsen uns heute nicht ins Gebiet der Tppo-
graphie verlieren, die Frage aber sei uns erlaubt:
ist es nötig, daß die großen Bekanntmachungen der
Behörden, der Banken u. s. w., an denen doch die
Zeitungsverleger wahrlich genug Geld verdienen, von
dem ersten als dem besten Setzer so nüchtern herunter-
gesetzt werden, wie geschieht? Es geschähe nicht,
wenn die Austraggeber ein wenig Gewicht auf die
Ausstattung legten. Aber die Clichö-Anzeigen, die
als sertiges Stück zum Einsetzen in die Form dem
Drucker übergeben werden, die gehen uns heut etwas
an. Sie können nach zwei Seiten hin künstlerisch
ausgebildet werden. Aus das Dekorative hin

ldas heißt: das Anrufen soll die Hauptsache sein),
was sich besonders sür kleine Anzeigen empfehlen
wird. Oder auf das Bild als Bild hin, aus
das Unterhalten durch die Zeichnung, wie dies bei
solchen Jnseraten gescheit sein wird, die durch ihre
Größe ohnehin auffallen. Von jeder der beiden
Arten ist dann und wann schon etwas Gutes
zu sehen. Wenn man aber die Annoncenseiten eines
Familien- oder Witzblattes überschaut, überrascht es,
wie da das Meiste doch noch immer stümperig ent-
worsen und gezeichnet ist, während genug der guten
und vortresslichen Komponisten unter den Zeichnern
den Geschästsleuten mit Vergnügen dienen würden.
Oder ihr Herren Stuck, Sattler, Eckmann, Fischer,
Müller und wie ihr alle heißt, ihr, denen das Talent
zn dekorativen Entwürsen so ausgiebig in die Wiege
gelegt ist, oder ihr Meisterzeichner aus den Fliegenden
Blättern, ist euch etwa das Jnserat nicht vornehm
genug? Zwingt das Leben in euren Dienst! Und
wenn ihr das höchst unersreuliche Anpreisewesen nicht
aus der Welt schassen könnt, so lange der moderne
Kapitalismus waltet, ei, so benützt es, wie die Blu-
men die Jnsekten benutzen, ihren Samen zu verbreiten.
Könnt ihr absehen, an wie viele Stellen dadurch ein
Keim der Kunst getragen würde, der zu stattlicher
Pslanze gedeihen mag? Könnt ihr absehen, ob da-
durch vielleicht nicht ganze Gärten entstünden?

Aber ich glaub' es verbürgen zu können: die
Künstler würden nicht die Spröden sein. Gebt uns
Vermittler zwischen ihnen und dem Leben, zwischen
ihnen und dem Volk! Je mehr Brücken vom einen
zum andern gebaut werden, je mehr wird es allen
zum Segen sein. > N.

N u u dscbu u.

DLcdtung.

» Zcböne Ltteratur.

Im Gnadenwald. Roman vou Marie Konrad-
Ramlo. (Dresden und LeipZig, Karl Reißner.)

Bloße Unterhaltungslektüre ist dieser Roman sreilich
nicht, er zwingt einen, höhere Maßstäbe anzulegen, aber
indem man sie anlegen will, schüttelt man unwillkürlich
den Kops und wirft sie wieder hin. Der Roman ist modern
und soll dies ohne Zweifel sein, soll ganz modern sein,
nur moderne Menschen bringen und sie in moderner Manier
vorführen. Aber ich kaun mir nicht helfen, diese modernen
Menschen kommen mir läppisch und diese moderne Manier
kommt mir dilettantisch vor. Da haben wir die moderne
Malerin, Mary Greve, ehedem Cowboy der amerikanischen
Steppe, jetzt die Gattin eines deutschen Professors der
Archäologie, den modernen Maler Otto Bull, der unglaublich

blasiert und unglaublich talentvoll ist, den ehrlichen setten
Germanen Birkenfeld, der sich und die Wahrheit kultiviert,
und dem seine Gattin Hulda durchgegangen ist, und endlich
die frommerzogene bajuvarische Jungfrau Genoveva, die
zur Weltlichkeit erzogen wird und schließlich Otto Bull
heiratet. Der Professor hat sich als Student von einem
Frauenzimmer einfangen lassen, Mary befreit ihn von
diesem und richtet in ihrer Naivetät mit einem tirolischen
männlichen Modell Unheil an; darin besteht außer in der
Erziehung Genovevas die Handlung, der Schauplatz ist
ein Haus im Gnadenwald in Tirol. Jch gehöre im All-
gemeinen nicht zu den Kritikern, die bei jedem Werk fragen:
Was soll das? Welche Lücke soll ausgefüllt, was bewicsen
werden? Kunstwerke sollen nichts beweisen, aber sie müssen
ihre Daseinsberechtigung in sich tragen, müssen jeden, der
sie genießt, init dem Gefühl, daß das betrefsende Stück
Leben zur Darstellung zwang, erfüllen. Und dies Gefühl
 
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