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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 9.1895-1896

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Heft 18
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Weber, L.: Künstlerschmerzen
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.11730#0290

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eigener Jnitiative in die Arme stürzen. Wer sich
mit dem Bewußtsein, ein Künstler zu sein und ein
Kunstwerk schaffen zu wollen, an den Schreibtisch
setzt, der wird sich hart thun; denn über dem, was
er eigentlich will, wird die Jdee, etwas Besonderes
zu sein und etwas Besonderes schaffen zu müssen,
störend und ablenkend schweben. Wer dagegen an
seine Arbeit tritt nur oon dem ursprünglichen, schlichten
Drange ersüllt, gerade auszusprechen, von sich zu
geben, was ihn bewegt, dem wird die Feder leicht
und sicher dahinsließen; dafür aber, daß das, was
er schafft, auch ein Kunstwerk wird, dasür lasse er
nur getrost die ihm innewohnende Begabung sorgen,
die ihn unwillkürlich aus die ihm natürlichste Weise
zur künstlerischen Gestaltung treiben wird. Damit
soll nun selbstverständlich weder ein Fingerzeig sür

angehende Künstler gegeben, noch soll damit behauptet
werden, daß nicht hin und wieder einmal auch das
Bewußtsein der Künstlerschaft ans Werk die ordnende
Hand legen dürse. Hier wie überall kommt man
schließlich zu demselben letzten Ergebnis, daß es im
Leben wie in der Kunst gar keine unverrückbaren
Grundsätze gibt, nach denen der Mensch sein Dichten
und Trachten in unsehlbarer Exaktheit einrichten
könnte. Hat er aber ein sestes Ziel im Auge und
ist er sich der Richtung seines Weges im allgemeinen
bewußt, so kann er deswegen doch unbeirrt, und ohne
sein unsicheres Schicksal beklagen zu müssen, vorwärts
schreiten und getrost auf den lebendigen Augenblick
vertrauen, der ihn immer wieder eines anderen und
besseren belehren wird.

L. Meber.

N u u d scb a u.

Dicdtung.

* Scböne Ltteratur.

j) a ri k r a z i u s Graunzer, der U) e i b e r f e i u d.
Bon Otto Julius Bierbaum. (Berlin, Verein für
deutsches Schrifttum. Mk. , geb. Mk. 5.)

Der vollständige Titel dieses Werkes lautet: „Die
Freiersfahrten und Freiersmeinungen des weiberfeindlichen
Herrn Pankrazius Graunzer, der Schönen Wiffenfchaften
Doktor, nebst einem Anhange, wie fchließlich alles abge-
laufen. Herausgegeben von Otto Julius Bierbaum".
Ohne ein bischen Archaismus thut es Bierbaum nun ein-
mal nicht, wie er denn ja mit feinen Gedichten „Nemt,
Frouwe, difen Kranz" in eine bedenkliche Nahe der fonft
in Deutschland glücklich überwundenen archaiftischen Poefie
der Wolff und Genofsen geraten ift. Hier soll das ar-
chaiftifche Element, das natürlich auch im Text nicht
völlig fehlt, ebenfo wie das für Bierbaum nicht weniger
charakteriftische ftudentenhaft-renommiftifche wohl den
Humor verftärken, aber der Humor, wo er ein tüchtiger,
gcsunder Kerl ift, bedarf folcher Kinkerlitzchen gewiß nicht.
Doch darf fich der ernfte Kritiker an ihnen auch nicht all-
zusehr stoßen, er muß auf den Kern dringen, und der
Kern ist hier eine Gefchichte im humoriftischen Stil, fa,
in der Manier Wilhelm Raabes. Man könnte ruhig
fagen, Bierbaums Held Pankrazius Graunzer habe fich
an Wilhelm Raabes Werken gebildet, sei innerhalb des
gegenwärtigen deutfchen Lebens nur durch Raabe möglich
und verftändlich. Doch fehlt freilich die eigentümliche, un-
mittelbar aus dem Herzen kommende Größe Raabes, man
muß sich an der Originalität der Ansichten und der Aus-
drucksweise genügen laffen. Viele Lefer des Buches werden
an dem Zynismus Graunzers oder Bierbaums, der sehr
unverhüllt auftritt und künftlerifch nicht immer notwendig
war, an der faft ein wenig renommiftifchen Berührung
unappetitlicher geschlechtlicher Verhältniffe ernfthaften An-
stoß nehmen, andere werden die lockere Kompofition, die
Sucht cke oimübus rebus ei gnibusÜLm Llüs zu reden,


tadeln, ich selber finde die Gestalt des Naturkindes
Brigitte, das den Weiberfeind definitiv bekehrt, nicht echt
und manche andere weibliche Gestalt zu karikiert. Aber
ich kann mir doch nicht verhehlen, daß „Pankrazius
Graunzer" im Ganzen ein amüsantes Buch ist, das trotz
feiner Abhängigkeit von Raabe felbstündigen Humor, und
das will zugleich fagen, eine felbftündige Anschauung des
Lebens, wenn auch nur gelegentlich, verrät. Wäre Bier-
baum noch imftande, den ganzen fymboliftifch-archaistisch-
naturaliftisch-renommiftischen Kram, der feine Werke ver-
unziert, über Bord zu werfen und mit Liebe am Stoffe,
nicht bloß zu feiner Persönlichkeit, zu geftalten, er könnte
vielleicht ein wirklich guter deutscher Humorist werden.

Ad 0 lf B a r t e l s.

Mit achtzig F a h r e n. Lieder und Epigramme
von I. G. F i s ch e r. (Stuttgart, I. G. Cotta).

Der fchwübifche Dichter I. G. Fifcher wird am
25. Oktober dieses Jahres achtzig Jahre alt — den Ge-
dichten, die er unter dem Titel „Mit achtzig Jahren"
foeben herausgegeben, merkt man es aber nicht an, die
find jung und frifch, so daß der Dichter mit Recht sagt:
„Bis an mein Ende beschenkt von Tag zu Tag mich die

Muf e

Mit verfüngendem Wein, den fie unendlich besitzt;

Aber den Becher kredenzest mir du, unfterbliche Liebe,
Welche mich täglich befucht; ihr nur verstehet es nicht."

Jn der That find die meiften Gedichte erotifcher
Natur, und man muß schon an Goethe denken, der mit
fiebzig Jahren den „Weftöftlichen Divan" herausgab, wenn
man einen Vergleich haben will. An Goethes römische
Elegien klingen auch die Epigramme Fifchers hin und
wieder an, fie find finnlich wie diefe, freilich von einer
weniger heidnischen, leiseren Sinnlichkeit; die in ihnen auf-
quellende Naturempfindung, die glückliche Situationskunst
bringen fie wieder den Epigrammen Mörikes nahe. Auch
die Lieder erinnern bisweilen an diefen, wic denn Fifcher,
wenn er auch wohl keineswegs, wie man gemeint hat,
„der letzte Schwabe" ift, fich unmittelbar an diesen größten

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