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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 9.1895-1896

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Heft 20
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Bartels, Adolf: Literarische Erziehung
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https://doi.org/10.11588/diglit.11730#0319

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Lwettes Iulibett 1896.


20. Dekt.


Derausgeber:

zferdinand NvennrLns.

Viertcljäbrlick 2ys Mark.

9. Zabrg.

LLternriseke Lrziekung.

^^Lor einiger Zeit fragte mich eine deutsche
Frau, welchen Dichter sie ihrem neun-
jährigen Knaben, bei dem sich der Lese-
drang rege, zuerst in die Hände geben solle. Die
Frage setzte mich, wie ich gestehen muß, in einige
Verlegenheit. Wir denken gegenwärtig, produzierend
und reproduzierend, leider viel zu wenig an das
heranwachsende Geschlecht; der Dichter, der sich ein-
mal die Frage stellte, was denn etwa von seinen
Werken eine spätere Generation ihrer Jugend vor-
legen könne, um veraltete Klassiker zu ersetzen, ist
heute nirgends in Deutschland zu sinden oder doch
höchstens in der Region der kleinen und kleinsten
Talente. Meine Antwort lautete, da natürlich nicht
an eigentliche Jugendlektüre, an den Robinson und
Coopers „Lederstrumpf", an Gustav Nieritz und Franz
Hofsmanns, Ferdinand Schmidts und W. O. von
Horns Erzählungen gedacht. wurde, zuletzt: Körner !
Jch würde dieselbe Antwort auch jetzt noch geben,
habe mir aber die Angelegenheit, die gewiß auch den
Kunstwart angeht, inzwischen gründlicher überlegt.

Theodor Körner ist allerdings der erste Klassiker,
der sür die Lektüre des heranwachsenden Geschlechts
in Betracht kommt. Jch gehöre keineswegs zu denen,
die glauben, daß der srühe Tod des Freiheitssängers
eine große dichterische Entwicklung unterbrochen habe,
bin vielmehr aus mancherlei Gründen der Ansicht,
daß Körner, wenn er am Leben geblieben wäre,
trotz der Schillernachahmung in seinen Dramen und

des echten Pathos von „Leyer und Schwert" im
ganzen über die Ebene der halb klassischen, halb ro-
mantischen, im Kern aber schwächlichen und nüch-
ternen Durchschnittspoesie der Restaurationsepoche nicht
viel hinausgekommen wäre. Die Leichtigkeit, mit der
er produzierte, seine sortwährende Jagd nach guten
Stoffen, seine Beeinslussung durch Kotzebue, außer
durch Schiller, seine Versuche aus dem Gebiete der
Schicksalstragödie sind wohl hinreichend Beweise da-
sür, daß seiner künstlerischen Jndividualität doch das
abging, was jedes große Talent schon in der Jugend
verrät: der Drang nach selbstständiger Ersassung des
Lebens. Aber Körners Werke weisen den Reiz der
Jugendlichkeit in hohem Maße aus und sind darum
auch sür die Jugend besonders anziehend, sie sind
außerdem die beste Vorbereitung auf Schiller, unter
dessen Einsluß sie doch in der Hauptsache stehen.
Noch heute entsinne ich mich des Entzückens, mit dem
ich, etwa zehnjährig, über den in der Bibliothek eines
besreundeten Quartaners entdeckten Band „Körners
Werke" hersiel, mit welch ehrlicher Begeisterung ich
die Gedichte aus „Leyer und Schwert" deklamierte
und den „Zriny" verschlang, wie gerne ich auch die
etwas nüchterne Lyrik der Knospen und die Balladen
genoß, und die zahlreichen kleinen Werke des Dich-
ters bis zu den Singspieltexten herab wiederholt las,
die ja stofflich in der That eine verhältnismäßig reiche
Welt darstellen. Die Briefe des Dichters an seinen
Vater, die ich, immer im Stoffmangel sür meinen

über

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