Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Kunstwart und Kulturwart — 37,2.1924

DOI Heft:
Heft 9 (Juniheft 1924)
DOI Artikel:
Lose Blätter
DOI Artikel:
Vom Heute fürs Morgen
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14440#0141

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
hinaus. Als das die Kämpfenden sahen, hörten sie wie aus Befehl plötz-
lich auf, ergriffen ihre Röcke und waren im Augenblicke beim Tore hinaus
und sausten mit Windeseile die Straße hinunter.

Die Polizisten mußten mit langer Nase umkehren. Als sie zum Tore
hineingingen, bemerkten sie, wie die Leute draußen höhnische Gesichter
schnitten, und sie selbst blieben ganz erstaunt stehen, als sie die sechs quiet-
schenden Schreihälse im grünen Grase erblickten. Die armen Polizisten
sahen einander an und kratzten sich am Kopfe. Die Leute draußen began-
nen zu lachen und hießen die Polizisten gutes Mutes sein. Sie gaben ihnen
freundliche Ratschläge, welche die jungen und alten Iunggesellen ünter
lhnen vor Scham bis über die Ohren erröten ckießen. Endlich wurden sie
von surchtbarem Zorne ergriffen. Ieder von den Sechsen packte ein Kind
und so gingen sie, einer nach dem anderen, in das Polizeigebäude hinein,
während die Bälger alle laut brüllten und die ganzen Dorfbewohner vor
Bergnügen johlten.

Vom tzeute fürs Morgen

Zwei Bücher aus Jrland

^^ngland, Schottland, Irland-Groß-
^britannien. So steht es inr Kopfe
eines jeden, der eine deutsche Schule
besucht hat. Und je weniger er von
diesen Ländern erfahren hat, um so siche-
rer steht da: England, Schottland,
Irland, und er meint, eigentlich wäre
das alles England. Nicht wenige wis-
sen freilich etliches über die Insel
Irland im besonderen. Wissen, daß
sie schön ist: Im Heidehochland liegen
blaue Seen, in denen märchenhafte
Inseln voll fremder Blumen stehen,
im Südland wachsen Lorbeer- und
Fuchsienbäume, Platanen und Eichen.
Sie wissen, daß dieBewohner dieser schö-
nen Insel gälische Kelten sind, die sich seit
Iahrhunderten gegen die harteHerrschaft
Englands empören. Sie wissen, daß
England die Iren durch Verleumdung,
Hunger und Gewalt niederzwingt, wis-
sen, daß es ihm gelungen ist, irische
Sprache und Kultur shstematisch zu
ersticken. Gelungen? Ls hat Irland
als jeder alten und neuen Kultur bar
verschrien, es hat Padraic Mac Pia-
rais (sprich Paadrik Mak Piarisch)
erschossen und seine Brüder leiden las-
sen: Aber es hat nicht hindern können,
daß die Reste der alten Kultur und
die Triebe der jungen aus allem
Schutt ihr Leuchten in die Augen der
Sehenden gestrahlt haben. 1922 er-
schien ein Buch irischer Dichtung: „Die
Seele Irlands". Es enthält Lrzäh-

lungen dreier neuzeitlicher irischerMch-
ter: Piarais, 'O Conaire (sprich Ko-
nire) und 'O Siochfhradha (sprich
Schochruu), ins Deutsche übertragen
von Iulius Pokornh. 1923 folgte „Die
Llteste Lyrik der grünen Insel" (auch
von Pokornh, beide bei Niemeyer).
Beide Bücher sind mit unverkennbar
dichterischer, liebevoller Einfühlung
übersetzt und vom Abersetzer mit aus-
gezeichneten umfassenden Einleitungen
versehen. Wer diese beiden Bücher liest,
erfährt eindringlich: noch lebt Irland.

Die älteste Lhrik und die junge
Prosa weisen beide in erstaunlicher
Abereinstimmung das Spiegelbild
eines geistlebendigen, leiblebendigen
Polkes, das noch heute so reinumrissen

— unversandet von der nivellierenden
Staubwolke europäischer Kultur — sich
aus der Einsamkeit des Ozeans hebt,
wie vor 1300 Iahren.

Gegenstand der ältesten Lhrik sind

— außer Gelegenheitsdichtungen —
vorwiegend Natur nnd Religion. Einer
streift jagend durchs Land, atmet Ent-
zückung ein und atmet Lieder aus;
freien Herzens mit glücklichen, scharfen
Augen preist er seine Welt vom Kräu«
terbüschel am Wege bis zu den Wol-
ken am Horizont. Das soll nichts be-
deuten noch bewirken. Er singt aus
Lust. Es gibt auch große Klagegesänge,
aber die besingen mehr Iugend und
Heimat als Tod oder Anglück dessen,
um den sie weinen. Sehr schön — ein
 
Annotationen