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Kunstwart und Kulturwart — 37,2.1924

DOI Heft:
Heft 11 (Augustheft 1924)
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Elenora Duse: ein Epilog der Epiloge
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https://doi.org/10.11588/diglit.14440#0213

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brechen sollen, wußte die Duse noch nicht; obwohl jede geringste ihrer
Gebärden bereits flammte in diesem Licht!

Auch war sie Italienerin; und auch war sie als Schauspielerin sich
der Ursache ihrer Wirksamkeit nicht bewußt. Als Italienerin war sie ebenso
naturgerecht beschränkt, wie jeder naturgerechte Nationalismus den Men--
schen von Rasse macht; als Schauspielerin, der jahrzehntelang mit allen
äußerlichen Zeichen der sinnverlassenen Welt die Bühne als ihr Besitz
vorgejauchzt worden war, war sie Stücken untertan, ja auf Stücke be--
grenzt, die überhaupt nur noch durch sie Leben vortäuschen konnten.
Natürlich wäre sie imstande gewesen, auch das „modernste" — denn das
heißt nur: das menschlich vollste — Drama zu spielen, da sie ja täglich
mit ihrem Leben bewies, wie sie das menschlich vollste Leben zn leben ver-
stand. Aber ihr war nur klar, daß sie das — oft so entsetzlich schlechte —
Stück „machte". Im Instinkt wußte sie überdies, daß zwischen der Person
des Schauspielers und seiner Kunst ein unlöslicher Zusammenhang be--
stehe. Hingegen wußte sie nicht, daß Kunst überhaupt nichts anderes ist,
als eine der Arten des Ausdrucks menschlichen Lebens; nichts also, was
neben dem Leben daherläuft, sondern Reflex dieses Lebens selber. Hätte
sie dies gewußt, dann hätte sie den Triumph ihres Gesegnetseins, den sie
nur unbewußt gekostet, jubelnd genossen; denn dann wäre ihr klar gewesen,
daß, je größer ein Mensch wird, dessen Lebensausdruck Kunst ist, um so
größer auch seine Kunst sein müsse! Nnd die Frau, die sich, weit über
unser Begreifen von Beschränkung hinaus, in eine Rolle gezwängt hat,
die ihr auch auf zehn Kothurnen nicht das Wasser reichen konnte, hätte
mit leichtem Mute sich in die Heldinnen der größten Dichter aller Zeiten
und Orte hüllen dürfen, um selbst durch diese Masken mehr auszudrücken,
als alle Theaterheldinnen je auszudrücken vermögen!

Dies also, daß sie sich nicht ganz gewußt; daß sie die ihr möglichen
Maße ihrer Kunst nicht ganz gewußt; und also auch den Sinn ihrer
persönlichen Schicksale: Sprungbretter zur Erfliegung immer größerer
Größe zu sein, nicht gewußt hat, — dies mag der Duse „Unglück" gewesen
sein. Aber auch dieser Tropfen zerschmilzt im Gewebe der Einheit von
Gott und Welt zu einem Hauche, da sie doch gewirkt hat, als ob sie
all dies allein wüßte! Als ich sie, die ich oft spielen gesehen, im letzten
Oktober zum letzten Male in Wien spielen sah, war ich Weder „gepackt",
noch „erschüttert", noch „hingerissen"; aber in den Grundfesten meiner
Seele und ihres Ahnens um den Sinn der Welt von Ehrfurcht geschüttelt
vor dieser Gewißheit: „Ecce homo". Denn nun, da Eleonora Duse eine
Greisin war, weißhaarig, skelettmager, gebeugt, elsenbeinfarben in Gesicht
und HLnden, und keine Kulisse, kein Mitspieler, und keines der verwelkten
Worte der „Frau vom Meere" auch nur noch irgendetwas zu tnn hatten
mit diesem Glanz von Weißgottwoher, mit dieser Stimme von Weißgott--
woher und mit diesem Pulse von Weißgottwoher, war es schleierlos be--
wiesen: zu den ausgezählt Ausgewählten gehört sie, die dazu berufsn sind,
den Menschen zum Ebenbild Dessen zu machen, dem wir unbewußt „Vater"
stammeln, wenn wir ihn bewußt nicht zu nennen vermögen. Nnd ein so
strömendes Glück, indem ich dieses Ebenbild erkannte, und indem ich
zitternd erriet, wie gleich es den Mienen jener ausgezählt ausgewählten
Brüder und Schwestern glich, die vor ihr hatten Ebenbilder werden dürfen,
— ein solch menschenstolzes Glück erfaßte mich im Anblick dieses Siegs, daß
ich, obgleich ich wußte, wie bangen Herzens die Frau den Weg übers Wasser
 
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