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Miethke, Jürgen [Hrsg.]
Geschichte in Heidelberg: 100 Jahre Historisches Seminar, 50 Jahre Institut für Fränkisch-Pfälzische Geschichte und Landeskunde — Berlin, Heidelberg [u.a.], 1992

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https://doi.org/10.11588/diglit.2741#0169
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Theorie der Geschichtswissenschaft

am Historischen Seminar der Universität Heidelberg

Die Theorie der Geschichtswissenschaft denkt nach über die Bedingungen, Mög-
lichkeiten und Grenzen geschichtswissenschaftlicher Erkenntnis. Sie fragt: Was
können wir Historiker wissen? Darüber hinaus fragt sie nach dem Nutzen und
Nachteil der wissenschaftlichen Historie für das Leben, d. h. für die jeweilige Ge-
genwart und Zukunft. Voraussetzung dieser Disziplin ist also die nicht selbstver-
ständliche Annahme, daß Geschichtsschreibung Wissenschaft sein kann und soll.

Der Ort geschichtstheoretischer Reflexion liegt in der Mitte zwischen allgemei-
ner Erkenntnistheorie und konkreter historischer Forschung. Diskussionen in dieser
systematischen Disziplin setzen daher der Sache nach einen höheren Abstraktions-
grad voraus, als die wissenscbafüicbe Arbeit, auf die sie sich beziehen. Die Histori-
ker sehen sich selbst über die Schulter oder lassen sich von anderen über die Schul-
ter sehen.

Diese Bedeutung von Theorie ist nicht identisch mit der Bedeutung von Theorie
im Sinne einer materialen Geschichtsphilosphie, die den Sinn der ganzen Geschich-
te bedenkt, auch nicht mit einem meist im Plural vorkommenden Theoriebegriff im
Sinne konkreter, gegenstandsbezogener Erklärungsmuster und Hypothesenbündel
über einen bestimmten geschichtlichen Sachverhalt: etwa mit Theorien über den
Untergang des Römischen Reiches oder der Weimarer Republik, mit Imperialis-
mustheorien, Totalitarismustheorien, Modemisierungstheorien. Allerdings kann der
in diesem Fall gemeinte Sinn von „Theorie" wieder zum Gegenstand geschichts-
theoretischer Reflexion werden.

Zwar stammt die Bezeichnung „Erkenntnistheorie" aus dem 19. Jahrhundert,
aber eine durchaus begrenzte Anzahl von erkenntnistheoretischen Grundfragen hat
die Geschichte der europäischen Geschichtsschreibung seit ihren Anfangen in der
Antike wie ein Schallen begleitet. Rückblickend kann man feststellen, daß zentrale
Argumente und Probleme in aufeinanderfolgenden Phasen der geschichüichen
Entwicklung entdeckt wurden. Vom heutigen Stand der Theoriediskussion aus be-
trachtet, läßt diese Entwicklung einen Fortschritt im Bewußtsein der Probleme er-
kennen. Jeder, der heute über geschichtstheoretische Probleme nachdenkt, tut gut
daran, sich dieser Tradition zu versichern, damit er nicht den Narren auf eigene
Faust macht.

Um meine zentrale Aussage über die Theorie der Geschichtswissenschaft am
Historischen Seminar der Universität Heidelberg zu rechtfertigen, seien einige
klassische Fragen und Problemstellungen stichwortartig in Erinnerung gerufen:
Seit Aristoteles hat sich die Erkenntnistheorie mit der Behauptung beschäftigt,
 
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