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Der Orchideengarten : phantastische Blätter — 1.1919

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Achtzehntes Heft
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https://doi.org/10.11588/diglit.29026#0431
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Der Orchideengarten
Phantastische Blätter
Herausgeber Karl Hans Strobl A Schriftleiter Alf von Czibulka

Ersler Jahrgang Achtzehntes Heft

DER E R B L
Die elfte Erzählung' au» der Sukasaptati.
EINST trat im Lande Virata zur Unzeit die
Regenzeit ein, und die Flüsse dort machten
ihrem besonderen Namen „Uferfortspüler“ alle
Ehre. In dieser Wasserflut schwimmend, kam
eine Schlange einher; sie war ganz ermattet,
ihr Leib war untergesunken, und nur ihr Kopf
ragte aus dem W'asser. Da schwamm ein
Frosch herbei und setzte sich auf ihre Haube.
Die Schlange verhielt sich ruhig, denn es war
keine Kraft mehr in ihr. Eine Lerche, die am
Ufer des Flusses ihre Wohnung hatte, erblickte
die Schlange, die den Frosch auf dem Kopfe
trug, und lachte. Die Schlange, als sie den Vogel
lachen sah, erhob ihre Stimme: „Warum lachst
du,Lerche?“ Der Vogel entgegnete: „Ich brach
in Lachen aus, da ich solche Verkehrtheit sah.“
Jene sprach: „V/as gibt es hier Verkehrtes?“
Da rief der Vogel: „Für euch Schlangen sind
die Frösche ein Nahrungsmittel, wenn nun ein
solcher auf deinem Kopfe festsitzt, so mul? sich
das Gesicht zum Lachen verziehen!“ Da sprach
die Schlange:
„Waslachst du, Lerche? Durch Schicksals-
fügung kann wohl eine Schlange zum Reittier für
einen Frosch werden, so gut ein Brahmane durch
Schmelzbutter blind wurde.“ Darauf erhob die
Lerche ihre Stimme: „Erzähle die Geschichte
von dem Brahmanen, der durch Schmelzbutter
erblindete!“ Die Schlange erzählte:
„,.In derBrahmanenkolonieBrahmapura lebte
ein Brahmane namens Ksemamkara; dessen
Frau war sehr unbeständig. Er jedoch besal?
eine erprobte Festigkeit gegen die ^Vunden, die
der Blumenpfeilregen des strahlenden Liebes-
gottes schlägt. Sein Herz war gefeit gegen die
Schmerzen und Wonnen des Liebesspiels, das
die Quintessenz der Welt ist.

INDEXE
Übertragen von Hilde Supan.
Aber als Ehemann jener Frau erfüllte er bei
ihr die ehelichen Pflichten nicht; er reihte alle
möglichen Festtage aneinander, indem er sagte:
Heute ist Neumondsnacht, Vollmondsnacht,
Zehnter, Elfter, Achter, V/eltanfang, Manu-
periodenanfang, Eintritt der Sonne in ein neues
Sternbild, Vierter usw. So gab es im Laufe
des Monats keine Gelegenheit, der Liebe zu
dienen, und niemals ward ihr Verlangen nach
Liebesgenul? gestillt.
Einst nun dachte sie in ihrem Sinn : „In einer
Weit geboren, in welcher der Sinnengenul? als
das Beste gilt, habe ich doch noch niemals Lust
genossen. Tag um Tag entschwindet meine
Jugend, ohne dal? ich den sül?en Trank der Wol-
lust geniel?e. Dann wird eiligen Schrittes das
Alter herankommen! Und sagt man nicht:
Reisen läl?t die Männer altern, Stillstehen
die Rennpferde; Mangel an Liebesgenul? die
Frauen und Beschälen die Hengste!“
So sprach sie und begann Unzucht zu treiben.
Das bemerkte nach einiger Zeit ihr Gatte, der
Brahmane, aber er verhielt sich stille. Jegliches
Mittel, auch ein unbilliges, ist recht zur Ver-
meidung des Liebesbesuches, der voll von Er-
regungen ist. Die Dinge sind vom Gelingen ge-
krönt, die unternommen werden in der Er-
kenntnis der eigenen Befähigung, ungehemmt
vom Whansche nach Erfolg und unter Meidung
von Mitteln, die der Verstand tadeln mul?.
So liel? also jener Br ahmane, wenn er sich auch
schämte, die Zeit verstreichen. Er schmückte
sich mit Schweigen in dem Gedanken, er werde
doch siegen, seinen Verstand glänzend offen-
baren, das Glück wiederfinden und geläutert
hervorgehen.

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