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DIE GLOCKEN VON KRUMMSEIFENBACH

VON

WILHELM von POLENZ

CHRISTLIEB Leberecht Fürchtegott Kumack, der
Grossbauer von Krummseifenbach, safs auf der
Anklagebank. Die Verhandlung dauerte kaum zwanzig
Minuten. Der Angeklagte hatte mit auffälliger Ge-
lassenheit das ihm zur Last gelegte Vergehen zu-
gegeben. Nichts hatte den alten Mann aus seiner
Ruhe zu bringen vermocht, nicht die Fragen des
Vorsitzenden, nicht die scharfen Worte des Staats-
anwalts. All das schien an Kumacks Gemütsver-
fassung wie Wasser an dem starken Gefieder einer
Ente abzulaufen. Er hörte sich die Sache mit an,
als werde diese ganze Verhandlung zu seinem be-
sonderen Vergnügen geführt, und dabei handelte
es sich doch um „Gefängnis bis zu drei Jahren."

Der Verteidiger hatte soeben das Plaidoyer be-
endet, an dessen Schlüsse er um mildernde Umstände
für seinen Klienten bat. Die Staatsanwaltschaft ver-
zichtete auf Erwiderung; der Fall lag ja ldar, alle
Erfordernisse des Gesetzesparagraphen waren erfüllt.
Wegen besonderer Schwere des Falles hatte der
Staatsanwalt das höchste zulässige Strafmafs beantragt.

Der Vorsitzende stellte, schon halb auf dem

Sprunge nach dem Konferenzzimmer, die übliche
Frage: ob der Angeklagte selbst noch etwas zu
seiner Verteidigung anzuführen habe?

Der Angeklagte hatte, ganz gegen allen Gerichts-
gebrauch, wirklich etwas anzuführen: „Ich meene
ack, und ich wullte ack ees sagen," begann er und
blickte die Richter mit derselben himmlischen Ruhe
an, die er während der ganzen Verhandlung an den
Tag gelegt hatte. „Wenn'ch mit Galde dervon
kumma, wilPch de grusse Glucke nei keefen, wenn
Se mich aber ganz frei sprachen tun, hernachen da
wullt'ch' alle drei Glucken nei keefen."

Der Vorsitzende musterte den Angeklagten er-
staunt ob dieser Rede, dann blickte er auf die Bei-
sitzer, um sich Rat zu holen: verstanden sie das?

„Angeklagter, was reden Sie denn? Was wollen
Sie mit: ,Glocken?' — Ob Sie etwas zu Ihrer Ver-
teidigung anführen können, habe ich gefragt!"

„Das is so gutt wie geschrieben, Herr Richter!
Das weefs der Paster och und de ganze Gemeende
weefs das. s'Gald ha'ch liegen derzu; ich kennte
die Glucken morne schun keefen, kennt'ch . . ."

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