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Kopierenden mitunter fast unmöglich ist, sie genau zu be-
stimmen und in ihrer Mischung wiederzugeben.

Aber es giebt noch eine andre Art der Nüancierung von
ganz besonderem Reiz in Kunst sowohl wie in Natur. Ich
möchte auf die Wirkung hinweisen, die sich ergiebt, wenn
verschiedene Farben in fortlaufenden oder punktierten Linien
neben einander gestellt werden und wenn man sie dann aus
einer Entfernung betrachtet, bei der sich die Farben für das
Auge des Beschauers mit einander verbinden.

Die Töne mischen sich in diesem Fall auf der Netzhaut,
und die Bildfläche, die, von nah gesehen, einer wirren Sudelei
gleicht, erscheint dann wunderbar abgestimmt, fast trans-
parent und gewinnt gleichsam beseeltes Leben, je nachdem
man sich entfernt oder nähert, während bei einem Bild, bei
dem der Künstler auf den Vorteil, den ihm diese Technik
bietet, verzichtet — die Farben ebenfalls zusammenfassen —
je nachdem man zurücktritt — ob es der Künstler gewollt
oder nicht; hat er dies jedoch nicht von vornherein berück-
sichtigt, wird die Wirkung eine gerade gegenteilige sein.

Bei der Aquarellmalerei ist das Alles durchaus üblich
und zwar in der Form einer mehr oder weniger hervor-
tretenden Punktstrichmanier, durch die Wirkungen erzielt
werden, die auf andre Weise kaum möglich zu machen
wären.

Wenn die Punktierung allzu regelmäfsig und allzu auf-
fällig ist, bekommt das Bild mitunter etwas Steifes und Leb-
loses. Aber in zweckmäfsiger und mafsvollerWeise angewandt,
gestattet sie den vollsten Formenausdruck.

Man braucht nur an Kaschmirshawls zu erinnern, die ihre
Schönheit zum Teil der Durchführung eines ganz gleichen
Prinzips verdanken."

In dieser Weise also haben Maler wie Delacroix, Aesthe-
tiker wie Ruskin, Gelehrte wie Rood die Momente voraus-
empfunden, auf denen dieNeuerungen der Neo-Impressionisten
beruhen. Ja, sie betonen ganz besonders gerade das Moment,
das noch heute als am meisten lächerlich und störend ange-
fochten wird, nämlich: die Anwendung kleiner Pinselstriche
nur reiner Elemente, oder wie man fälschlich sagt, die An-
wendung des „Punktes" — und weisen alle auf die grofsen
Vorteile hin, die diese Methode sichert.

Es wäre zu wünschen, dafs das Urteil solcher Männer im
Stande wäre, das Publikum, das aus Mangel an Verständnis
und Uebung sich damit begnügt, über Neuerungen und Fort-
schritte zu lachen, eines Besseren zu belehren. Sobald es reifer
geworden ist, wird es auch für den Reiz der Farbe empfäng-
licher werden und sich ihrer zwingenden Macht nicht mehr
entziehen. Es wird sich nicht mehr über die gewagten Ver-
suche der Neuerer entsetzen, sondern einsehen, dafs auch deren
üppigste Farbenpracht im Vergleich mit der der Natur nur
matt und kraftlos ist. Weit davon entfernt, wie jetzt zu
spotten, wird es ihnen Dank wissen, dafs sie durch immer
gröfsere Kraft der Farbe dem Auge immer gröfseres Wohl-
gefühl bereiten. Paul Signac

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